Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel
»Warum hast du …?«
»Zur Tarnung«, unterbrach sie mich. »Necron hat meinen Körper töten können, aber nicht meinen Geist. Es gibt nichts, was eine El-o-hym wirklich töten kann, aber ich habe für meinen Verrat bezahlen müssen. In Wirklichkeit war es nicht Necron, der mich umgebracht hat; ohne es zu wissen war er nicht mehr als ein Werkzeug. Ich habe gegen uralte Gesetze verstoßen und ich habe es wieder tun müssen, um dir jetzt zu helfen. Diesmal wird meine Strafe noch schlimmer sein, aber ich musste das Risiko eingehen, sonst wärest du jetzt bereits tot. Aber ich muss meine Spuren so gut es geht verwischen. Außerdem ist dieser Körper im Augenblick praktischer.«
»Im Augenblick?«, wiederholte ich mit aufflackernder Hoffnung. Ihre Erklärung kam mir vor wie ein auswendig gelernter Text und wirkte sonderbar falsch auf mich, aber ich war zu benommen, um darüber nachzudenken. Ich verdrängte die Gedanken daran und konzentrierte mich auf die Andeutung, die sie gemacht hatte. »Bedeutet das, dass du ihn auch wieder wechseln kannst?«
»Ich kann beinahe jede beliebige Gestalt annehmen, aber es erfordert jedes Mal ungeheuer viel Kraft. Kraft, die ich jetzt nicht habe. In ein paar Tagen vielleicht, wenn alles vorbei ist.«
In meinem Kopf brummte es wie in einem Bienenstock. Ich begriff nicht einmal die Hälfte von dem, was sie erzählte.
»Diese Mächte, vor denen du dich verbirgst, sind es die gleichen, die hinter mir her sind?«, fragte ich verwirrt.
Shadow lachte rau. »Nein, das hat nichts miteinander zu tun. Aber wenn ich nicht eingegriffen hätte, hätte man dir inzwischen schon ein luxuriöses Einzelzimmer im Tower zugewiesen, wenn nicht sogar Schlimmeres.«
»Was ist überhaupt geschehen?«, murmelte ich. »Dr. Gray hat mich nicht erkannt, die Polizisten hielten mich für einen Mörder. Was hat das alles zu bedeuten?«
»Du erinnerst dich an die beiden Männer, die dich überfallen haben?«
Ich nickte.
»Aber an die Injektion, die sie dir gegeben haben, erinnerst du dich nicht?«
»Welche Injektion?«
»Es war die gleiche Droge, die die körperliche Mutation bei ihnen ausgelöst hat. Sie verleiht ihnen übermenschliche Kräfte, macht sie gleichzeitig aber auch zu willenlosen Sklaven. Bei dir aber …« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr. »Anscheinend hat das Serum bei dir nicht so gewirkt, wie es sollte. Du hast deinen freien Willen behalten und dich auch nicht verändert. Zumindest nicht wirklich, wohl aber für deine Umwelt. Gray konnte dich nicht erkennen, denn er sah dich so, wie du nach der Injektion eigentlich aussehen müsstest. So ging es auch den Polizisten. Es hat in letzter Zeit einige Morde gegeben, die von den Monstermenschen ausgeführt wurden. In den Augen anderer siehst du genauso aus wie sie. Als du Sill gegenüberstandest, hatte der Prozess erst begonnen. Sie erkannte dich zwar nicht, hielt dich glücklicherweise aber auch nicht für einen der Mutanten.«
Ich sprang auf und ging unruhig in der Lagerhalle auf und ab. Es fiel mir schwer das Gehörte zu verarbeiten. Alles ging zu schnell, als dass ich die Vielzahl an Informationen aufnehmen und begreifen könnte. Die Ruhe, die mich im Augenblick beherrschte, war nicht echt, es handelte sich eher um Betäubung als um wirkliche Gelassenheit. Wahrscheinlich würde ich unter der geistigen Belastung zusammenbrechen, sobald mein Gehirn Zeit fand, das Geschehene in allen Konsequenzen zu erfassen.
»Das bedeutet, dass ich für meine Umwelt zu einem Monster geworden bin«, stieß ich bitter hervor. »Gibt es denn keine Möglichkeit, diesen Prozess rückgängig zu machen?«
Shadow erhob sich ebenfalls und trat hinter mich. Sie legte mir die Hand auf die Schulter. Ich erschauderte unter der Berührung, als mir bewusst wurde, dass es sich nicht um ihre schlanken, zarten Finger handelte, sondern um die fleischige Pranke eines Seemannes. Wieder rief ich mir ihr wahres Aussehen in Erinnerung und klammerte mich an die Illusion, aber der Klang ihrer Stimme zerstörte das Bild sofort wieder.
»Die Wirkung des Serums hält nicht unbegrenzt an. Ein paar Stunden noch, höchstens bis zum Morgengrauen. Du warst mehr als zwölf Stunden ohnmächtig.«
»Zwölf Stunden?«
Überrascht fuhr ich herum. Meinem Gefühl nach hatte ich geglaubt, nur für ein paar Minuten das Bewusstsein verloren zu haben.
»Wer hat dieses Serum hergestellt?«, wollte ich wissen.
Shadow zuckte mit den Schultern. »Genaues weiß ich auch nicht«,
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