Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel
aus. Nun, wir werden sehen, wie hart du bist, wenn du deine Kameraden an deiner Stelle schreien hörst.«
In den Augen des Gefangenen blitzte es auf. Sein Gesicht verzerrte sich, wurde von einer Grimasse der Qual zu der der Angst. Mit aller Gewalt bäumte er sich gegen die ledernen Riemen auf, die ihn auf dem schwarzen Steintisch hielten, aber seine Kraft reichte nicht. Und noch immer kam nicht der mindeste Laut über seine Lippen.
»Du strengst dich umsonst an«, sagte Madur kalt. »Es gibt nur eine einzige Möglichkeit für dich, deine Kameraden zu retten. Rede! Was hat Ancen vor? Wann wird der Angriff erfolgen? Aus welcher Richtung? Wie? Mit welchen Kräften?«
Der Mann starrte ihn an, bäumte sich abermals auf und riss mit aller Kraft an den Fesseln, die sein geschundener Körper noch aufzubringen imstande war. Die Adern an seinem Hals traten so dick hervor, als wollten sie platzen.
Und dann erschlaffte er.
Von einer Sekunde auf die andere wich die Spannung aus seinem Körper. Er sank zurück, lag still, ja, er atmete nicht einmal mehr. Sein Blick erlosch.
Erschrocken beugte sich Madur über den Mann, packte sein Kinn mit der Hand und drehte seinen Kopf herum.
Er blickte in das erschlaffte Gesicht eines Toten.
Für eine Sekunde.
Dann begann sich das Gesicht des Ancen-Mannes auf erschreckende Weise zu verändern.
Es zerfloss …
Madur starrte so entsetzt auf den unglaublichen Vorgang, dass er im ersten Moment nicht einmal auf die Idee kam, das Kinn des Gefangenen loszulassen. Die Züge des vielleicht vierzigjährigen, kräftig gewachsenen Mannes verflachten, sanken ein wie weiches Wachs, das zu warm geworden war. Sein Gesicht wurde zu einer glatten, konturlosen Masse, Mund und Nase und Augen verschmolzen.
Erst als die fürchterliche Veränderung auch sein Kinn erreichte und Madur plötzlich eine entsetzliche Wärme und Weichheit unter den Fingern spürte, schrie er gellend auf und prallte zurück.
Aber es war noch nicht vorbei.
Überall dort, wo der Körper des Gefangenen nicht von Kleidung verhüllt war, setzte sich der fürchterliche Veränderungsprozess fort, lautlos und rasend schnell. Sein Körper ebnete sich ein, wurde zu einer farblosen, gallertartigen Masse, die vielleicht noch Arme und Beine und einen Kopf hatte, aber keine Feinheiten mehr, nichts, was den Menschen ausgemacht hatte.
Wenn dieses Ding, das da vor ihm lag, jemals ein Mensch gewesen war, dachte Madur entsetzt.
Und dann begann sich der graue Balg zu bewegen …
Lautlos und mit raschen, pumpenden Bewegungen floss die fürchterliche Masse aus den mit einem Male leeren Kleidern des Kriegers hervor, bildete Fäden und dicke, formlose Ausläufer, die über den Rand des Tisches fielen, mit einem platschenden Geräusch auf dem Boden aufschlugen, wo sie sich zu einer großen, schillernden Pfütze sammelten. Es ging sehr schnell: Innerhalb weniger Augenblicke, kaum einer Minute, floss der so entsetzlich veränderte Körper auf den Boden herab, sammelte sich zu einer widerwärtig schillernden Pfütze – und ballte sich zu einem Klumpen zusammen. Und mehr …
Madur erwachte erst aus seiner Erstarrung, als es beinahe zu spät war. Aus flackernden Augen starrte er auf die monströse Gestalt, die mit einem Satz vom Boden hochsprang und mit fingerlosen, viel zu vielen Händen nach ihm griff. Ein ungeheurer Gestank ging von der Erscheinung aus. Als sie sich bewegte, erzeugte sie Übelkeit erregende, glucksende und blubbernde Laute. Und sie bewegte sich genau auf ihn zu!
Trotz seines Entsetzens über die erschreckende Veränderung, die mit seinem Gefangenen vorgegangen war, reagierte Madur überraschend schnell. Er warf sich zur Seite, entging dabei den zupackenden Armen um Haaresbreite und raste zur Tür, versuchte aber nicht sie zu erreichen, sondern riss einen der übermannslangen Kampfspeere herunter, die dort an der Wand hingen. Mit einer Bewegung, die für einen Mann seiner Masse schlichtweg unvorstellbar schien, fuhr er herum, suchte mit gespreizten Beinen festen Stand auf den Boden und packte den Speer mit beiden Händen.
Das Ungeheuer raste heran und es reagierte ganz genau so, wie Madur gehofft hatte – nämlich gar nicht. In vollem Lauf prallte es gegen den Speer und rannte sich die Waffe in den Leib.
Und hindurch.
Und weiter.
Eine, dann zwei kostbare Sekunden vergingen, bis Madur begriff, dass seine Waffe den Vormarsch des Schleimmonsters allenfalls verlangsamen konnte, aber nicht stoppen. Die Waffe ragte bereits in
Weitere Kostenlose Bücher