Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel
auf und hallten als bizarre Echos von den Wänden wider, dann traten zwei Männer und eine Frau in den Lichtkreis der Fackeln. Trotz der Kälte trug die Frau nur ein bodenlanges Nachthemd. Ihr von goldenem Haar umrahmtes Gesicht war schön, aber leblos und maskenhaft wie das einer Puppe. Es zeigte nicht die geringste Gefühlsregung und der Blick der Unbekannten war starr geradeaus gerichtet, als ob sie schlafwandeln würde.
Mit einer geschmeidigen Bewegung richtete sich Jennifers Bewacher auf und erstmals konnte sie sein aristokratisch geschnittenes Gesicht sehen. Es zeigte einen stolzen, fast arroganten Ausdruck. Die Lippen waren wie zwei schmale, blutleere Striche und bewegten sich auch beim Sprechen kaum. Er machte einen gebildeten Eindruck und bildete damit einen denkbar großen Gegensatz zu den beiden bulligen Begleitern der Frau, deren Muskeln sich ganz offensichtlich auf Kosten ihrer Intelligenz gebildet hatten.
»Hat es irgendwelche Schwierigkeiten gegeben?«, wandte sich der Hagere an die Männer.
»Wir haben ihm das Zeug gespritzt, Dr. Jackson, alles in Ordnung. Allerdings …« Der Mann brach ab, leckte sich mit der Zungenspitze über die Lippen und knetete nervös seine Hände.
»Allerdings, was?«, hakte Dr. Jackson nach.
»Er war nicht allein. Bei ihm war noch eine komisch angezogene Frau. Sie ist mit einem Schwert auf uns losgegangen.«
»Eine Frau?« Die Unbekannte in dem Nachthemd erwachte schlagartig aus ihrer Trance. Ihr Gesicht verzerrte sich in jähem Hass.
»Sei ruhig, Priscylla«, fuhr der Hagere sie an, bevor er sich wieder an ihre Begleiter wandte. »Was habt ihr mit ihr gemacht?«
»Wir haben sie niedergeschlagen und sind abgehauen.«
»Narren!«, rief Dr. Jackson kalt und maß die Männer mit wütenden Blicken. »Ihr hättet sie herbringen sollen. Ich hätte sie für meine Experimente gut gebrauchen können und außerdem wäre sie ein hervorragendes Druckmittel gegen Craven gewesen.«
»Schicke die Idioten noch einmal aus, damit sie sie holen«, forderte die Frau, die er mit Priscylla angeredet hatte. »Wenn sie sich beeilen, können sie sie vielleicht noch einholen, bevor sie Andara-House erreicht. Ich will diese Frau hier haben.«
»Es geht nicht, das weißt du. Ich habe nicht mehr genug von dem Serum.«
»Dann schicke sie so los, sie werden ja wohl mit einer harmlosen Frau fertig werden. Sie könnte unsere Pläne stören.«
Dr. Jackson winkte unwirsch ab.
»Sei nicht närrisch, Priscylla. Alles läuft nach Plan. Das Einzige, was uns gefährlich werden kann, ist deine unbegründete Eifersucht. Wenn Craven das Serum bekommen hat, ist die Frau unbedeutend. Viel wichtiger ist jetzt, dass ich meine Experimente fortsetzen kann.«
Ein fanatisches Funkeln trat in seine Augen, als er sich zu Jennifer umwandte, die dem Gespräch verständnislos gelauscht hatte. Sie begriff immer noch nicht, was um sie herum vorging. Auch wenn nirgendwo etwas von dem Unhold zu sehen war, der sie niedergeschlagen hatte, beruhigte sie das nicht im Geringsten. Anscheinend war sie in eine Versammlung von Wahnsinnigen geraten. Waren das die Menschen, die sie vor ihrer Ohnmacht gehört hatte? War sie bei ihrer scheinbaren Rettung vom Regen in die Traufe geraten?
»Bitte, lassen Sie mich gehen!«, flehte sie schluchzend. »Ich werde niemandem erzählen, was ich gesehen und gehört habe, aber tun Sie mir nichts!«
»Schweig!«, befahl Dr. Jackson hart, dann überzog ein beinahe freundliches Lächeln sein Gesicht. »Sieh mal, hier geht es um bedeutende wissenschaftliche Experimente und für den Fortschritt sind manche Opfer unumgänglich, das wirst du doch sicher verstehen, nicht wahr? Zu meinem Bedauern komme ich vorläufig noch nicht ohne eine gewisse Menge an Menschenblut aus.«
Immer noch lächelnd zog er einen Dolch unter seinem Gehrock hervor …
Der Regen hatte bereits nachgelassen und die Abstände zwischen Blitz und Donner wurden länger, als ich das Haus Dr. Grays erreichte. Ich ließ den wuchtigen Türklopfer ein paarmal niedersausen. Wie nicht anders zu erwarten, brannte zu dieser späten (oder je nach Standpunkt frühen) Stunde nirgendwo im Haus mehr Licht, aber der Lärm hätte ausgereicht, einen Toten aufzuwecken.
Es dauerte kaum eine Minute, bis die Tür einen Spalt breit geöffnet wurde, gerade so weit, bis sich die vorgelegte Sicherheitskette spannte. Dahinter kam das verschlafene Gesicht eines Butlers zum Vorschein; offensichtlich hatte ich ihn aus tiefstem Schlaf gerissen. Ich
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