Hexer-Edition 20: Hochzeit mit dem Tod
nicht, sondern sah mich nur über den Rand des Glases hinweg auf sehr sonderbare Weise an.
Auf eine Weise, die mir abermals einen eisigen Schauer über den Rücken jagte …
»Irgendwie … kann ich es immer noch nicht begreifen«, murmelte ich, nachdem auch ich Platz genommen hatte. »Es ist vorbei.«
»Was?«, fragte Priscylla. Sie trank noch immer nicht, hielt das Glas aber weiter an den Lippen. Ihre Zunge tastete über seinen geschliffenen Rand. Es sah … obszön aus. Und so verrückt der Gedanke war – ich war in diesem Moment vollkommen sicher, dass genau dies die Wirkung war, die sie bezweckte.
Ich verscheuchte den Gedanken. »Alles«, murmelte ich. »Necron, die SIEGEL, der Kampf gegen die GROSSEN ALTEN …«
»Bist du sicher?«, fragte Priscylla lauernd. Sie musste mein Erschrecken bemerken, denn sie lächelte und fügte hastig hinzu: »Aber natürlich. Welch dumme Frage. Es ist vorbei, Robert. Jetzt gehören wir zusammen. Für alle Zeiten.«
Seltsam – aber das waren fast die gleichen Worte, die ich in meinem Traum gehört hatte. Trotz des behaglich flackernden Kaminfeuers war mir plötzlich kalt. Etwas war falsch. Aber was?
Abermals wanderte Priscyllas Blick zur Uhr und wieder hatte ich das sehr sichere Gefühl, dass es mehr als eine bedeutungslose Geste war. In diesem Moment machte sie auf mich den Eindruck eines Menschen, der auf etwas wartete.
Etwas ganz Bestimmtes.
»Was hast du?«, fragte ich.
Priscylla lächelte. »Was soll ich haben?«
Kalt. Ihr Lächeln war kalt wie Eis.
»Du … siehst dauernd auf die Uhr«, erklärte ich stockend. Ein dicker, schmerzhafter Kloß saß plötzlich in meiner Kehle. Angst. Ich hatte Angst. Panische Angst, ohne auch nur den mindesten Grund dafür zu haben. Was geschah hier?
»Es ist nach elf«, erklärte Priscylla und stand auf. »Wir sollten allmählich … nach oben gehen.«
»Nach oben?«
»Heute ist unser Hochzeitstag«, erinnerte Priscylla stirnrunzelnd. »Es gibt da etwas ganz Bestimmtes, das frisch angetraute Eheleute in der ihm folgenden Nacht zu tun pflegen, weißt du?«
Ihr Worte ließen mich erschauern, aber nicht aus dem Grund, den sie anzunehmen schien. Das Gefühl einen entsetzlichen Fehler zu begehen wurde immer stärker in mir.
Trotzdem nickte ich, lächelte verkrampft und stand auf, um sie in die Arme zu nehmen und zu küssen.
Priscylla entschlüpfte mir mit einer raschen Bewegung, schüttelte den Kopf und wandte sich zur Tür. »Oben«, sagte sie einfach.
Zorn machte sich in mir breit. So hatte ich mir unsere Hochzeitsnacht gewiss nicht vorgestellt. Verdammt, ich war zwar kein Casanova, aber auch kein Klosterschüler – und schon gar nicht prüde. Aber Priscylla machte alles kaputt, mit wenigen und – und das war das Schlimmste – sehr genau überlegten Worten.
Ich schluckte die ärgerliche Bemerkung herunter, die mir auf der Zunge lag, leerte mein Champagnerglas mit einem einzigen Zug und stellte es so heftig auf den Tisch zurück, dass der dünne Stiel zerbrach. Priscyllas Blick folgte jeder meiner Bewegungen. In ihren Augen blitzte es spöttisch auf.
Gut, vielleicht war auch für sie alles zu viel gewesen, versuchte ich mir einzureden. Immerhin hatte sie nicht nur eine Menge hinter sich – die Entführung, die jahrelange Gefangenschaft in Necrons Kerker und anschließend im Summers-Sanatorium; und um allem noch die Krone aufzusetzen eine versuchte Vergewaltigung am Morgen ihres Hochzeitstages.
Aber das allein war es nicht.
Irgendetwas in ihrem Blick war … falsch. Etwas fehlte – oder etwas Neues war da, was nicht hineingehörte.
Bevor wir das Zimmer verließen, sah auch ich noch einmal zur Uhr. Es war halb zwölf.
Noch eine halbe Stunde bis Mitternacht.
Es geschah.
Jetzt.
Shadow spürte, wie sich die Macht zusammenballte, uralte Teile eines vor undenkbaren Zeiten auseinander gerissenen Ganzen sich wieder vereinten.
Der Kreis schloss sich. Immer schneller und schneller bewegten sich seine Enden aufeinander zu. Sie würden sich berühren.
Es würde geschehen.
Jetzt und hier. Und keine Macht der Welt – nicht einmal mehr die des UNAUSSPRECHLICHEN – vermochte es noch zu verhindern.
Sie hatte versagt.
Sie fühlte sein Kommen, noch ehe sie die Bewegung hinter sich spürte und den Schatten sah.
Einen Moment lang überkam sie Furcht. Aber das Gefühl verging so rasch, wie es gekommen war. Für eine Sekunde schloss sie die Augen, öffnete sie wieder, drehte sich herum und blickte den hochgewachsenen blonden
Weitere Kostenlose Bücher