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Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Titel: Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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muss man nicht gleich von Gespenstern und Geistern reden, wenn man irgendetwas nicht versteht. Wissen Sie, ich mache diesen verrückten Job schon seit fast dreißig Jahren und eines habe ich gelernt: Es gibt für alles eine vernünftige Erklärung. Man muss nur lange genug danach suchen.«
    »So wie für das Ungeheuer in der Kanalisation, das mich um ein Haar umgebracht hätte?«, fragte ich spöttisch.
    Cohen blieb ernst. »Ich habe nicht behauptet, dass es einfach ist«, sagte er. »Manchmal muss man wirklich sehr lange suchen. Und manchmal findet man vielleicht auch keine Erklärung. Das bedeutet aber nicht, dass es keine gibt.«
    Ich gab es auf. Es gibt Dinge, über die zu diskutieren mit Menschen wie Cohen keinen Zweck hatte. Nicht, weil sie sie nicht verstehen wollten, sondern weil sie es einfach nicht konnten, denn was nicht logisch und mit dem, was man im allgemeinen den »gesunden Menschenverstand« nennt, zu begründen ist, das passte so wenig in ihr Weltbild, dass sie es einfach negierten. Vielleicht würde auch Cohen früher oder später begreifen, dass es eben doch Dinge gab, die sich außerhalb unserer logisch erklärbaren Welt abspielten. Aber ich fürchtete, dass es dann zu spät war. Trotzdem widersprach ich ihm jetzt nicht mehr, sondern blickte wie er schweigend zu den versammelten Kindern am anderen Ende der Straße hinüber.
    Der Zeitpunkt, zu dem sie eigentlich losgehen mussten, um trockenen Fußes Hennesseys Leuchtturm zu erreichen, war schon seit gut zehn Minuten verstrichen. Cohen hatte mir erzählt, dass er am Morgen, während ich geschlafen hatte, nicht untätig gewesen war. Er hatte mit einigen Bewohnern Brandersgates gesprochen und war zwar auf die zu erwartende Ablehnung und das Misstrauen Fremden gegenüber gestoßen, hatte aber doch das eine oder andere in Erfahrung gebracht. Niemand wusste etwas von Crowley oder hatte je von einem Mann dieses Namens gehört, aber auch ohne unseren geheimnisvollen Feind und Männer in roten Seidenumhängen war Brandersgate ein höchst unheimlicher Ort. Was Cohen in Erfahrung gebracht hatte, das deckte sich mit dem, was ich von Alyssa wusste. Brandersgate war nicht einfach nur ein kleiner vergessener Ort an der Küste, an dem der Zahn der Zeit nagte. Diese Stadt starb, seit fünf Jahren und immer schneller. Es war kein Zufall, dass sich alles hier in einem so erbärmlichen Zustand befand. Nach der Schließung des Sägewerkes waren die meisten jüngeren Männer und Frauen weggezogen. Geblieben waren nur die Alten und die, die Brandersgate aus dem einen oder anderen Grund nicht verlassen wollten oder konnten. Aber mit dem Weggang der Jugend schien auch der Lebenswille aus dem Ort gewichen zu sein. Niemand gab sich noch Mühe, irgendetwas instand zu setzen. Niemand reparierte etwas oder schuf gar Neues. Was mir gestern am Bahnhof und später in Cordwailers Laden aufgefallen war, das galt auch – und in fast noch stärkerem Maße – für den gesamten Ort. Alles hier war verfallen und alt. Brandersgate sah nicht aus wie ein Ort, der seit fünf Jahren aufgegeben worden war, sondern eher wie seit fünfzig Jahren dem Verfall überlassen. Es war, als wirkten die zerstörerischen Kräfte der Zeit hier zehn Mal schneller als normal. Auch die wenigen Menschen, denen wir begegnet waren, wirkten müde und auf eine Weise ausgezehrt, die ich nicht in Worte zu fassen vermochte. Ich hatte Alyssa wiedergesehen, vor wenigen Augenblicken, aber sie war meinem Blick ausgewichen und schnell in einem kleinen Haus mit blinden Scheiben und mit eingesunkenem Dach auf der anderen Seite der Straße verschwunden und ich hatte dem Impuls widerstanden, ihr zu folgen.
    Und diese Kinder dort hinten … Es kostete mich fast Mühe, sie anzusehen, so unheimlich kamen sie mir vor. Von Cohen wusste ich, dass das älteste von ihnen seinen sechsten Geburtstag noch nicht gefeiert hatte, und trotzdem hätte ich jeden Eid darauf geschworen, es mit einer Versammlung von Sieben-, Acht-, oder Neunjährigen zu tun zu haben. Aber es war nicht ihre körperliche Reife, die mich schaudern ließ, obwohl sie erstaunlich war, betraf sie doch nicht eine einzelne Ausnahme, sondern sie alle. Vielmehr jedoch erschreckte mich der Ernst in ihren Gesichtern und ihre Art, sich zu bewegen und zu geben. Das waren keine Kinder. Das waren auch keine kleinen Erwachsenen, sondern etwas … Unheimliches.
    »Allmählich beginne ich mir albern vorzukommen«, sagte Cohen. Er räusperte sich und ließ seinen Blick in die

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