Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
nicht die mindeste Regung.
»Niemand geht nachts zum Strand hinunter, Sir«, antwortete er. »Die Flut kommt manchmal sehr schnell. Und man kann sich zwischen den Felsen verirren. Wenn man vom Wasser überrascht wird, ist man verloren.«
»Ich weiß«, antwortete ich. »Man kann ertrinken, nicht wahr? Man kann –«
»Wir werden trotzdem mit Mr. Hennessey reden«, fiel mir Cohen scharf ins Wort. Er trat mit einem Schritt zwischen mich und Joshua, um den Blickkontakt zwischen uns zu unterbrechen, und fuhr mit leicht erhobener Stimme, deren warnender Klang vielmehr mir als Pasons galt, fort: »Wenn ihr nichts dagegen habt, dann begleiten wir euch. Ihr seid doch auf dem Weg zu ihm, oder?«
Joshua schüttelte den Kopf. »Heute nicht, Sir«, sagte er. »Wir können heute nicht zum Turm hinaus.«
»Wieso?«, fragte ich und trat neben Cohen, um den unheimlichen Jungen wieder ansehen zu können. Cohen warf mir einen ärgerlichen Blick zu, aber ich achtete gar nicht darauf.
»Das Wetter ist nicht gut«, antwortete Joshua. »Es wird Sturm geben. Mr. Hennessey kommt hierher. Aber ich bin sicher, er wird gerne mit Ihnen reden.«
»Sturm?«, fragte ich. Ich warf einen bewusst übertrieben erstaunten Blick in den Himmel. Er war strahlend blau, fast schon zu schön für die fortgeschrittene Jahreszeit. Von Horizont zu Horizont zeigte sich nicht die kleinste Wolke.
Trotzdem nickte Joshua, um seine Behauptung zu unterstreichen. »Ein schlimmer Sturm sogar«, sagte er. »Das Wetter hier an der Küste ist manchmal unberechenbar. An Tagen wie heute ist es zu gefährlich, zum Leuchtturm hinauszugehen. Der Sturm kann ihm zwar nichts anhaben, aber wir wären dort draußen gefangen, bis das Wetter besser wird.«
»Und er unterrichtet euch hier, auf offener Straße?«, fragte ich zweifelnd.
»Natürlich nicht, Sir.« Diesmal zeigte sich tatsächlich ein Ausdruck auf Joshua Gesicht: ein rasches, verächtliches Lächeln. Aber er machte keine Anstalten, seine Worte weiter zu erklären, sondern maß mich nur sekundenlang mit einem kalten, abschätzenden Blick, ehe er rückwärts wieder auf den Bürgersteig zurücktrat. Im gleichen Moment löste sich auch der Kreis der übrigen Kinder auf.
Aber meine Geduld war erschöpft. Bevor Cohen (oder meine innere Stimme, die mich anflehte, wenigstens einen Rest von Vernunft zu wahren) es verhindern konnte, war ich bei ihm, packte ihn grob am Aufschlag seines Jacketts und schüttelte ihn ein paar Mal. »Jetzt reicht es!«, sagte ich aufgebracht. »Vielleicht macht es dir ja Spaß, uns auf den Arm zu nehmen, mein Junge, aber du bist nicht so schlau, wie du denkst!«
Aber vielleicht war er es doch. Vielleicht war er sogar noch schlauer, als ich dachte – zumindest um etliches raffinierter; auch wenn mir das erst später klar werden sollte. Der Junge reagierte auch diesmal wieder völlig anders, als ich erwartete. Statt vor Schrecken zu erstarren oder einfach loszuplärren – mit beidem hätte ich gerechnet – packte er meine Hand mit erstaunlicher Kraft, griff mit beiden Händen zu und bog meinen Daumen so schnell und schmerzhaft nach hinten, dass ich überrascht aufschrie und einen halben Schritt zurückwich; aber gleichzeitig taumelte auch er zurück, prallte mit viel zu großer Wucht gegen die Wand des Hauses, vor dem wir standen, und fiel zu Boden. Zwei, drei der anderen Kinder schrien auf, und alle begannen wie auf ein gemeinsames Kommando hin vor Cohen und mir zurückzuweichen, während Joshua sich mühsam aufsetzte, mich aus großen Augen anstarrte und angstvoll die Arme über den Kopf schlug. Plötzlich und zum ersten Mal benahm er sich tatsächlich wie ein fünf- oder meinetwegen auch siebenjähriges Kind, denn er begann zu wimmern und krümmte sich, wie in Erwartung weiterer Schläge.
»Craven! Sind Sie verrückt geworden?«, fragte Cohen und riss mich grob am Arm zurück. Die Bewegung war so heftig, dass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte und nur mühsam meine Balance wiederfand, aber ich registrierte sie trotzdem kaum. Völlig verblüfft starrte ich Joshua an. Zwar hatte ich die Beherrschung verloren und ihn tatsächlich grob angefasst, aber doch nicht so derb, dass er wie unter einem Schlag gegen die Wand fliegen und dekorativ zusammenbrechen konnte! Joshua krümmte sich. Aus seiner Nase lief Blut, obwohl ich vollkommen sicher war, ihn nicht einmal berührt zu haben, und er wimmerte wie unter großen Schmerzen und noch größerer Angst.
Aber erst, als Cohen mich abermals
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