Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Titel: Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
umbringen?« Mit weit ausgreifenden Schritten begann er die Treppe hinauf und mir entgegen zu rennen. Auch Boris wollte ihm folgen, doch in diesem Moment läutete die Türglocke und der Riese blieb stehen und drehte sich im nächsten Augenblick herum.
    »Nein!«, flüsterte ich. »Nicht!«
    Meine Stimme war so schwach geworden, dass Viktor und erst recht Boris sie vermutlich gar nicht hörten. Mein Blick irrte zur Tür. Ich sah nichts anderes als das mit Schnitzereien verzierte Holz, aber zugleich war es, als werfe ich einen Blick in die tiefsten Abgründe der Hölle. Wenn es so etwas wie Gestalt gewordene Angst gibt, dann war es das, was ich in diesem Moment erblickte. Hinter der Tür war etwas. Boris durfte sie nicht öffnen! Etwas Unvorstellbares würde geschehen, wenn er es tat. Aber ich hatte keine Möglichkeit, ihn zurückzuhalten oder ihm wenigstens eine Warnung zuzurufen. Ich wollte schreien, aber meine Stimme versagte mir den Dienst, und als ich die rechte Hand von meinem Halt löste, um ihm eine Warnung zuzugestikulieren, hätte ich um ein Haar das Gleichgewicht verloren und wäre die Treppe hinabgestürzt. Im buchstäblich allerletzten Moment war Viktor bei mir und fing mich auf.
    »Sind Sie wahnsinnig geworden?«, fuhr er mich am. »Wollen Sie sich umbringen und alles zunichte machen, wofür ich fünf Jahre gearbeitet habe?«
    Ich beachtete ihn gar nicht. Vergeblich versuchte ich, einen Ton hervorzubringen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Boris hatte die Tür fast erreicht. Noch ein Meter trennte ihn davon, dann noch ein Schritt – und dann streckte er die Hand nach dem Türgriff aus und drückte ihn herunter.
    Boris öffnete die Tür und im hellen Sonnenlicht dahinter erkannte ich die Gestalten von vier oder fünf Kindern, die im gleichen Moment mit einem schrillen Gelächter von der Tür zurückwichen und Boris Grimassen zu schneiden begannen. »Stöpselkopf!«, schrien sie. »Flickengesicht!«
    Der Riese machte einen tolpatschigen Schritt und die Kinder kreischten auf und spritzten in alle Richtungen durcheinander, schrien ihm aber weiter »Flickengesicht« und »Stöpselkopf« und andere Schimpfworte zu und lachten laut. Eine Sekunde lang stand Boris einfach da und starrte ihnen hinterher. Dann schüttelte er den Kopf, wich wieder ins Haus zurück und drückte die Tür hinter sich zu.
    Ich atmete erleichtert auf. Was immer ich erwartet hatte, war nicht dagewesen. Dabei war das Gefühl einer unbeschreiblichen Gefahr so intensiv gewesen, dass es mir fast den Atem genommen hatte. Es war sogar immer noch da, obwohl ich doch jetzt wusste, was auf der anderen Seite der Tür nichts anderes lauerte als ein paar Kinder, die sich einen Scherz machten.
    »Also!«, sagte Viktor herrisch. »Was tun Sie hier? Was soll das?«
    »Die Tür«, murmelte ich. »Ich … dachte, es wäre …«
    »Was?«, fragte Viktor streng. »Das sind nur ein paar Nachbarskinder. Sie machen sich einen grausamen Spaß daraus, Boris zu verhöhnen. Ich habe schon ein paar Mal mit den Eltern gesprochen, aber es hat nicht viel genutzt. Sind Sie etwa deshalb heruntergekommen?«
    Bevor ich antworten konnte, wurde die Türglocke erneut betätigt. Boris’ Gesicht verdüsterte sich noch weiter. »Wenn das wieder diese Bälger sind, versohle ich ihnen den Hintern«, sagte er. Mit einer zornigen Bewegung fuhr er herum und riss die Tür auf.
    Tatsächlich stand vor ihm wieder ein halbes Dutzend halbwüchsiger Jungen und Mädchen. Sie schrien ihm jetzt keine Schimpfworte mehr zu, schnitten ihm aber Grimassen und machten obszöne Gesten und offensichtlich war Boris’ Geduld nun wirklich erschöpft. Mit einem zornigen Knurren streckte er einen seiner überlangen Arme aus, packte den am nächsten stehenden Jungen am Kragen und zerrte ihn zu sich heran.
    Genauer gesagt: Er versuchte es. Obwohl Boris mindestens doppelt so stark sein musste wie ein normal gewachsener Mann, rührte sich der Bursche nicht, den er am Kragen gepackt hatte. Ganz im Gegenteil war es Boris, der plötzlich wie unter der Wucht seiner eigenen Bewegung ein Stück nach vorne stolperte und fast auf die Knie gefallen wäre. Die anderen Kinder kamen kichernd näher, während sich auf dem Gesicht des Burschen, den er am Schlafittchen hatte, ein hämisches Grinsen ausbreitete.
    Auch Viktor hatte den Kopf gedreht und die sonderbare Szene beobachtet. »Nanu«, sagte er erstaunt. »Was ist denn da –«
    Er sprach den Satz nie zu Ende, denn in diesem Moment begriffen wir wohl beide

Weitere Kostenlose Bücher