Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
ihnen endgültig den Angriff befahlen. Zehn Schritte, dann noch acht, sechs …
Ich spürte es, einen Sekundenbruchteil, ehe ich sah, wie sich der Anführer der Rattenmeute zum Sprung spannte. Für einen winzigen, zeitlosen Moment schien etwas wie eine fühlbare Aggressivität in der Luft zu liegen, fast, als könne ich mit einem unheimlichen zusätzlichen Sinn die Gedanken der Ratten verfolgen, und vermutlich war es auch das, was mir letztlich das Leben rettete – auch wenn mir dies erst viel später klar werden sollte.
Instinktiv warf ich mich zur Seite und gleichzeitig herum. Die Bewegung fiel so aus, wie es in meinem desolaten Zustand zu erwarten war: alles andere als schnell oder gar geschickt, sondern eher langsam und fast tölpelhaft. Es gelang mir nicht der Ratte auszuweichen, die nach meiner Kehle sprang, und ich verlor auf dem schmierigen Boden des Kanalisationsrohres um ein Haar das Gleichgewicht.
Immerhin verfehlten die zuschnappenden Zähne der Ratte meine Kehle und verbissen sich stattdessen in die Schulter meiner Jacke. Ich spürte einen heftigen Schmerz – keinen Biss, denn der dicke Stoff schützte mich – aber doch den enormen Druck, den die so täuschend kleinen Kiefer des struppigen Monsters ausübten, schrie auf und schlug mit der linken Hand nach dem Ungeheuer. Zugleich stürmte ich mit weit ausgreifenden Schritten los.
Eine zweite Ratte sprang nach meinem Bein, verbiss sich in meine Wade und wurde mit einem fast überrascht klingenden Quietschen davongeschleudert, als ich einen gewaltigen Schritt tat, sodass sie gegen die Wand flog und hilflos daran herunterglitt, und dem Angriff eines dritten Nagers entging ich nur durch pures Glück. Dann sah ich die Leiter vor mir.
Sie war noch ein gutes Stück weiter entfernt, als ich geglaubt hatte, aber die Todesangst verlieh mir zusätzliche Kräfte. Halb spurtend, halb über den schmierigen Boden schlitternd, erreichte ich die Leiter, sammelte alle Kraft zu einem letzten verzweifelten Sprung und stieß mich ab. Die Ratte hing noch immer an meiner Schulter und versuchte sich durch den Stoff zu wühlen, aber ich hörte trotzdem auf, auf sie einzuschlagen, und streckte beide Arme weit vor, um die rostigen Eisenstufen zu ergreifen.
Es gelang. Mit einem fast olympiareifen Sprung erreichte ich die Sprosse, klammerte mich daran fest und zog gleichzeitig die Knie an den Leib, um vollends aus der Reichweite der Rattenmeute unter mir zu kommen. Ganz kurz musste ich mich gegen die schreckliche Vorstellung wehren, dass das rostige Eisen unter meinen gut hundertfünfzig Pfund Gewicht nachgeben und zerbrechen könnte, sodass ich direkt in die heranwuselnde Rattenhorde zurückfiel. Aber diese Angst war unbegründet. Die Sprosse mochte uralt und verrostet sein, aber sie hielt.
Nur die Wand, in die sie eingelassen war, nicht.
Ich konnte tatsächlich spüren, wie meine Augen vor Entsetzen ein Stück aus den Höhlen quollen, als sich die Trittstufe mit einem lauten Knirschen aus der Wand löste. Mit haltlos rudernden Armen kippte ich nach hinten, kam einen Sekundenbruchteil zu spät auf den Gedanken, die nutzlose Sprosse fallen zu lassen und nach einer anderen zu greifen, und verfehlte sie um wenige Millimeter. Ich stürzte nach hinten, schlug einen ungeschickten halben Salto in der Luft und fiel auf etwas Weiches, das einen schrillen Schrei ausstieß und dann still lag.
Für einen Moment drohten mir die Sinne zu schwinden. Wahrscheinlich war es nur eine Sekunde, vielleicht sogar noch weniger, aber als ich die Augen wieder öffnete, hatte die Ratte endlich ihre Zähne aus meiner Schulter gezogen und war dabei, mit emsigen Bewegungen auf meine Brust hinaufzuklettern, um sie stattdessen in mein Gesicht oder meine Kehle zu schlagen. Instinktiv schlug ich nach ihr und traf sie auch – sie flog davon, prallte gegen die Wand und blieb zuckend liegen.
Aber die Gefahr war keineswegs vorbei. Ich hatte eine, möglicherweise auch zwei Ratten bei meinem Sturz unter mir begraben und zerquetscht, aber mindestens zwei Dutzend weitere befanden sich noch in meiner unmittelbaren Nähe – und sie griffen auf der Stelle an!
Verzweifelt versuchte ich in die Höhe zu kommen, glitt aber auf dem schmierigen Boden sofort wieder aus und erschlug dabei ganz aus Versehen eine dritte Ratte. Gleichzeitig spürte ich, wie sich kleine, aber rasiermesserscharfe und entsetzlich starke Zähne in meine Waden gruben. Ich schrie vor Schmerz und Angst, schlug blindlings um mich und bekam etwas
Weitere Kostenlose Bücher