Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
den entsetzten Ton in seiner Stimme, als er uns vom Balkon des Turmes aus nachschrie, nicht vergessen.
»Vielleicht sollten wir -«, begann ich. Ein gleißender, blau-weißer Blitz spaltete den Himmel. Cohen und ich schrien im gleichen Moment geblendet auf und schlossen die Augen, aber das Licht war so intensiv, dass es mühelos durch meine geschlossenen Lider drang und ich den Wald und Cohens Gestalt wie auf dem Negativ einer photographischen Platte sah; geisterhaft und unheimlich und mit solcher Intensität, dass die flackernden Nachbilder auf meiner Netzhaut mein Sehvermögen noch minutenlang danach trübten. Ein unvorstellbarer Donnerschlag ließ den Boden unter unseren Füßen erbeben und zugleich ertönte ein unheimliches Zischen und Summen, wie ich es noch nie zuvor im Leben gehört hatte. Der Himmel schien von einem Ende zum anderen auseinander zu reißen und erneut peinigte ein unvorstellbar intensives, grauenhaftes Licht meine Augen. Blaues Elmsfeuer zeichnete die Konturen der Baumwipfel über unseren Köpfen nach und für eine Sekunde verspürte ich ein schreckliches Kribbeln am ganzen Körper; für die gleiche Zeit, in der ich das kalte blaue Feuer auch über meine eigenen Glieder huschen und Cohens Gestalt mit einer lodernden Aureole umgeben sah.
Dann verblasste das Licht und meinen geblendeten Augen erschien die nachfolgende Dunkelheit absolut. Blind stolperte ich einige Schritte zur Seite, prallte gegen einen Baum und fiel auf die Knie herab.
Eine Sekunde später rollte ein zweiter, kaum weniger lauter Donnerschlag vom Meer heran. Aber dieser Ton war anders; ein dunkles, rollendes Bersten und Krachen, der Laut eines … zusammenbrechenden Gebäudes!
Cohen und ich mussten wohl im gleichen Moment zu diesem Schluss gekommen sein, denn noch während ich aufsprang und immer noch halb blind stolpernd den Weg zur Küste zurück einschlug, hörte ich, wie auch er hinter mir losstürmte.
Der Orkan empfing uns mit ungebrochener Wut, als wir den Wald verließen, aber weder Cohen noch ich beachteten die eisigen Böen auch nur, sondern liefen immer schneller den Weg zur Küste zurück.
Das Meer war nicht mehr dunkel. Irgendwo jenseits der Steilküste loderte ein gigantisches Feuer, dessen Glut die Unterseiten der Sturmwolken in ein unheimliches, blutfarbenes Licht tauchte, in dem es immer wieder blau und weiß und gelb aufblitzte. Das Dröhnen und Krachen hielt an und schien sich sogar noch zu verstärken. Vom Himmel zuckten immer noch Blitze; in immer schnellerer Folge jetzt. Aber es waren keine normalen Blitze. Diesem Gewitter wohnte nicht die Ziellosigkeit eines normalen Unwetters inne; sein Zorn war gebündelt und entlud sich konzentriert auf eine einzige Stelle im Meer, nur eine halbe Meile von der Küste entfernt.
Ich hatte geahnt, was wir zu sehen bekommen würden, und trotzdem war der Anblick so unheimlich, dass ich erschrocken stehen blieb und die Augen aufriss, als wir den Felsgrat erreichten.
Hennesseys Turm brannte wie eine Fackel. Blitz auf Blitz schlug in den gewaltigen steinernen Pfeiler ein und wo die dünnen blauen Energielinien den Fels berührten, da glühte er auf und begann wie flüssige Lava in die Tiefe zu rinnen. Diese Blitze mussten hundert, tausend Mal so stark sein wie normale Blitze und ich konnte körperlich fühlen, wie sich über unseren Köpfen eine immer stärkere, immer unbezähmbarere Gewalt zusammenballte, um Ströme purer Vernichtung auf den schwarzen Turm herabzuschleudern. Es war kein normales Gewitter. Das war es nie gewesen. Was wir beobachteten, das war nicht das Toben entfesselter Naturgewalten, sondern das Aufeinanderprallen von Licht und Dunkel, zweier Gewalten, die so alt wie die Schöpfung waren – und unversöhnliche Feinde vom allerersten Moment an. Der Turm schien sich unter den Einschlägen der Blitze zu winden wie ein lebendes Wesen und wenn ich überhaupt noch Zweifel daran gehabt hätte, dass in seiner Schwärze etwas wohnte, so wären sie nun zerstreut worden, denn ich konnte das Aufbäumen der finsteren Energien sehen, die sich unter den Blitzen wanden und zuckten und vergeblich zu entkommen versuchten.
Am Fuß des Turmes begann das Meer zu kochen. Ich sah, wie nun auch dort Blitze einschlugen, wie die grellen, tausendfach verästelten blauen Linien das Wasser trafen und verdampften, sodass sich graue Schwaden wie Nebel aus dem Meer erhoben, die die Umrisse des sterbenden Turmes bedeckten wie ein graues, zitterndes Leichentuch.
Dann …
Es dauerte
Weitere Kostenlose Bücher