Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
nicht einmal eine Sekunde, doch der Anblick brannte sich unauslöschlich in mein Gedächtnis ein. Ein letzter, ungeheuerlicher Donnerschlag erklang und zugleich peitschten Dutzende von gleißenden Blitzen im selben Sekundenbruchteil auf das Meer herab. Diesmal erloschen sie nicht, als sie die Wasseroberfläche berührten, sondern setzten sich darunter fort, verästelten sich weiter und weiter, bis der gesamte Ozean vor der Küste von einem blauweiß glühenden, engmaschigen Netz aus Licht durchwoben zu sein schien.
    Dann war es vorbei. Von einer Sekunde auf die andere erloschen die Blitze und im gleichen Augenblick hörte der Sturm auf. Er flaute nicht etwa ab, sondern hörte einfach auf, wie abgeschaltet, und nur einen Herzschlag später begannen sich die Wolken über unseren Köpfen mit nahezu unvorstellbarer Schnelligkeit aufzulösen. Alles in allem verging nicht einmal eine Minute, bis der Himmel über uns klar und beinahe wolkenlos war; eine samtblaue Kuppel, auf der die silberne Scheibe des Mondes glänzte, eingefasst von einer Million winziger, glitzernder Lichtpünktchen.
    Der schwarze Turm war verschwunden. Wo er gestanden hatte, erhob sich nur eine flache Insel aus dem Meer, von der grauer Dampf aufstieg. Hier und da glühte der Fels noch, aber die höher steigende Flut erstickte das Feuer rasch. Nach einer weiteren Minute erlosch der letzte Lichtfunke unter den monoton heranrollenden Wogen.
    Sehr viel Zeit verging, ehe – wieder einmal – Cohen es war, der als Erster aus dem Zustand der Erstarrung erwachte, in den uns beide der unheimliche Anblick versetzt hatte. »Was war das, Craven?«, flüsterte er. Seine Stimme war nur ein Hauch, die ich trotz der eingekehrten fast absoluten Stille kaum vernahm. Langsam, wie gegen eine unsichtbare hemmende Kraft ankämpfend, drehte er den Kopf und sah mich aus großen Augen an, in denen sich das Licht des Mondes spiegelte, sodass sie wie kleine silberne Scheiben in der hellen Fläche seines Gesichtes wirkten.
    Ich hielt seinem Blick einen Moment lang stand, dann deutete ich ein Achselzucken an und sah wieder auf das Meer hinab. Auch das Toben der Flut beruhigte sich Zusehens. Tief unter unseren Füßen brach sich noch einmal weiße Gischt an den Klippen, aber es war jetzt nur noch die ganz normale Kraft des Meeres, nicht mehr der vernichtende Strom, der Hennesseys Turm verschlungen hatte. Und ich spürte, dass nicht nur das bizarre Bauwerk verschwunden war. Auch die unheimliche Kreatur im Wasser war nicht mehr da; vernichtet durch die Energie der Blitze oder geflohen in die finsteren Abgründe des Wahnsinns, aus denen sie emporgestiegen war. Crowley hatte mit seinem Tun Gewalten heraufbeschworen, deren er letztendlich selbst nicht mehr Herr geworden war. Aber der Gedanke an seine Vernichtung erfüllte mich nur eine Sekunde lang mit Befriedigung. Danach und viel intensiver verspürte ich eine eisige Kälte, die aus meinem Inneren emporkroch und mich frösteln ließ. Wenn schon ein einzelner Diener der GROSSEN ALTEN – auch wenn es zweifellos ein sehr mächtiger Diener gewesen war – dazu in der Lage war, solche Gewalten heraufzubeschwören, wozu mochten die finsteren Gottheiten selbst dann erst fähig sein?
    Schweigend wandte ich mich um und begann mich von der Küste zu entfernen. Nach einer Weile folgte mir Cohen.
     
    Es dauerte eine halbe Stunde, bis wir den Bahnhof von Brandersgate erreichten. Cohen und ich hatten vorgehabt den Ort in einem respektvollen Bogen zu umgehen und uns der alten Station von der entgegengesetzten Richtung her zu nähern, doch wir hatten bald gespürt, dass vor uns irgendetwas nicht in Ordnung war. Im hellen Licht der mittlerweile klaren Vollmondnacht konnten wir die zwei Dutzend eingeschossiger Gebäude gut genug erkennen, um zu sehen, dass … irgendetwas anders war, allerdings nicht gut genug, um zu erkennen, worin diese Veränderung bestand. So waren wir – ohne dass es einer besonderen Übereinkunft bedurfte – von unserem ursprünglichen Plan abgewichen und hatten uns, unendlich vorsichtig und jeden Moment auf einen Hinterhalt oder einen Überfall gefasst, dem ersten Gebäude jenseits des Bahnhofes genähert: Cordwailers Laden.
    Oder dem, was einmal Cordwailers Laden gewesen war. Das Gebäude war zerstört. Aber es war keine gewaltsame Zerstörung. Mein allererster Gedanke, dass das unheimliche Gewitter auch Brandersgate verheert hatte, war falsch. Das Gebäude wies keine Spuren gewaltsamer Beschädigungen auf. Sämtliche

Weitere Kostenlose Bücher