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Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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kalt, als ich die Straße verließ. Das schlechte Wetter hatte uns von den schottischen Highlands treu bis zurück nach London begleitet und es regnete auch hier; heftiger und ausdauernder, als ich es jemals zu dieser Jahreszeit erlebt hatte. Die Sonne würde erst in einer guten Stunde untergehen, doch das Licht war trotzdem schon schwächer geworden, und das Grau der unzeitgemäßen Dämmerung ließ meine Umgebung noch trister erscheinen, als sie es wohl selbst im hellen Sonnenlicht sein musste. Auf dem Boden der schmalen Gasse, in der ich Zuflucht vor dem Wind – und noch viel mehr vor neugierigen Blicken – gesucht hatte, schimmerten ölige Pfützen und auf den Backsteinmauern rechts und links ein feuchter Film, mit dem die Nässe selbst die dem Regen nicht zugänglichen Winkel der Stadt eroberte. Am Ende der Gasse stapelten sich Unrat und Müll fast zu Mannshöhe auf und auf dem Dach des Hauses zur Linken hatten sich Tauben eingenistet, entweder schon vor langer Zeit oder in gewaltiger Zahl, denn die Wand hatte einen schmutzig grauen Panzer aus erstarrtem Taubenkot bekommen und nicht einmal der Regen hatte den scharfen Ammoniakgestank ganz aus der Luft waschen können. Als ich mich langsam weiter in die Gasse hineinbewegte, knirschte zerbrochenes Glas unter meinen Füßen und der Laut ließ einige der geflügelten Dachbewohner erschrocken in die Luft steigen, aus der sie aber von dem beständig herniederströmenden eisigen Wind fast sofort wieder vertrieben wurden.
    Ich befand mich in einem Teil der Stadt, den man nicht nur in jedem Fremdenverkehrsprospekt vergeblich gesucht hätte, sondern dessen bloße Existenz die Londoner Stadtverwaltung wohl am liebsten verleugnet hätte – obwohl vermutlich jede größere Stadt ihr ganz persönliches East End hatte. Die Häuser hier waren nicht nur kleiner und schäbiger als die, die London den Ruf einer Weltstadt eingetragen hatten, das Leben selbst schien hier gedrückter und gewissermaßen langsamer abzulaufen, als läge etwas wie ein unsichtbarer Hauch über den Straßen, der nicht nur das Licht, sondern auch alle Bewegungen und Geräusche dämpfte. Es war eine Gegend einfacher, zumeist wohl auch armer Leute; ein Viertel ganz ähnlich dem, in dem ich selbst einen nicht unbeträchtlichen Teil meiner Jugend verbracht hatte, ehe ich von meiner wahren Identität und meinem Erbe erfuhr. Eigentlich hätte mich diese Umgebung nicht erschrecken dürfen.
    Trotzdem fühlte ich mich alles andere als wohl oder gar zu Hause. Vielleicht war es zu lange her, dass ich in einer Umgebung wie dieser gelebt hatte – Straßen, die den verstohlenen Blicken gehörten, den Dirnen und Zuhältern und den Geschäften am Rande der Legalität, und die nach Einbruch der Dunkelheit selbst von ihren Bewohnern gemieden wurden, wo immer dies möglich war. Der Mensch vergisst schnell; und wenn es etwas gibt, woran man sich ebenso rasch gewöhnt wie man seinen wirklichen Wert vergisst, sobald man es einmal hat, so sind es Sicherheit und Luxus.
    Wahrscheinlich aber hatte mein Unbehagen einen sehr viel einfacheren Grund: Ich fühlte mich körperlich unwohl – um es vorsichtig auszudrücken.
    Die Kälte und vor allem die Feuchtigkeit setzten mir arg zu und mein Rücken schmerzte bei jedem Schritt so sehr, dass ich manchmal ein Stöhnen nicht ganz unterdrücken konnte. Bei meiner Flucht aus dem Bahnhof hatte ich mir eine Anzahl kleinerer Prellungen, Schnitte und Schrammen zugezogen, doch obwohl es schon eine Weile her war und völlig anders als sonst, vermochte ich sie nicht zu ignorieren, sondern spürte jeden noch so winzigen Kratzer mit quälender Deutlichkeit. Dazu kam ein pochender Schmerz, der in meinem Hinterkopf begonnen und sich im Laufe der letzten Stunde in meinem ganzen Schädel ausgebreitet hatte. Kurz – ich fühlte mich wie ein hundertjähriger Greis.
    Was vielleicht daran lag, dass ich genau das war …
    Was die genaue Anzahl der Jahre betraf, war ich nicht sicher – als ich Crowley das erste Mal gestehen hatte, war er mir wie ein Mann von neunzig Jahren vorgekommen – mindestens –, während ich bei unserem zweiten Zusammentreffen eher das Gefühl gehabt hatte, einem rüstigen Siebzigjährigen gegenüberzustehen. Um die Verwirrung komplett zu machen, hatte ich aus gewissen Andeutungen sowie eigenen Beobachtungen und Überlegungen den Schluss gezogen, dass sein wirkliches Alter noch sehr viel höher war; Crowley musste längst die hundert überschritten haben, vielleicht sogar schon

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