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Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Gewalt zurück.
    »Halt’s Maul, Hank«, sagte er, ohne den Knochigen auch nur anzusehen. Wieder an mich gewandt, fuhr er fort: »Hör gar nicht auf ihn. Hank redet den ganzen Tag nur Blödsinn.« Trotzdem wurden Stimme und Blick eine Spur ernster, als er fortfuhr: »Sind sie hinter dir her? Ich meine … es würde nichts ändern. Hier interessiert sich keiner dafür, was du getan hast; außer, du hast vielleicht ein Kind umgebracht, oder eine Nonne. Wir wollen nur keinen Ärger, das ist alles.«
    »Den bekommt ihr auch nicht, keine Angst. Ich glaube, ich gehe jetzt besser.«
    »Den Teufel wirst du tun«, sagte Landon bestimmt. Er griff neben sich und nahm einen schmierigen Leinenbeutel auf, aus dem er eine kaum weniger schmierige Flasche hervorzog. Mit den braunen Stummeln seiner Zähne zog er den Korken heraus, nahm einen kräftigen Schluck (ich wurde den Verdacht nicht los, dass er dabei fast ebenso viel in die Flasche hineinsabberte, wie er trank) und reichte sie dann an mich weiter. »Trink. Ist gut gegen die Kälte.«
    Ich wollte ihn nicht beleidigen, also griff ich zögernd nach der Flasche und schnüffelte daran. Der Geruch, der mir in die Nase stieg, erinnerte mich an eine Mischung aus Lampenpetroleum und Pferdepisse, aber nachdem ich vorsichtig einen Schluck heruntergewürgt hatte, begriff ich, dass die Flasche beinahe hundertprozentig reinen Alkohol enthalten musste. Das scharfe Brennen, das meinen Hals herablief, ließ mir die Tränen in die Augen steigen, aber ich unterdrückte tapfer ein Husten; eine Tat, die in den Augen meines Gegenübers ein anerkennendes Funkeln wachrief. »Du bist in Ordnung, Bob«, sagte er. »Kannst heute Nacht hier bleiben, wenn du willst.« Er nahm mir die Flasche wieder aus den Händen, trank selbst einen gewaltigen Schluck – ohne auch nur eine Miene zu verziehen – und verkorkte sie wieder, ehe er der Reihe nach auf die anderen deutete. »Hank kennst du ja schon. Das da ist Natty, neben ihr Ben und Steven und die beiden anderen da hinten sind der blinde Floyd und sein Bruder Buddy.«
    Ich folgte jeder seiner Gesten mit einem entsprechenden Blick und zwang mich sogar zu einem sechsfach angedeuteten Lächeln; und obwohl ich kaum eine Reaktion erzielte, verspürte ich trotzdem ein Gefühl sonderbarer Wärme. Es war nicht allein auf die Wirkung des Alkohols zurückzuführen, der mittlerweile meinen Magen erreicht hatte und sein Möglichstes tat, Löcher hineinzubrennen. Vielmehr war es ein Gefühl, das ich im ersten Moment nicht einmal richtig begriff, trotzdem aber keine Sekunde bezweifelte. Es war die Selbstverständlichkeit, mit der mich diese Menschen als einen der ihren akzeptiert hatten, nicht einmal wegen meines Aussehens oder dem, was ich gesagt (genauer gesagt nicht gesagt) hatte, sondern wohl, weil sie instinktiv spürten, dass ich ganz wie sie nichts hatte, wohin ich gehen konnte, niemanden, der mir helfen würde, und keine Aussicht auf irgendeine Zukunft, in der es mehr gab als das Glück einer Nacht, die man nicht im Freien verbringen musste, oder eines Tages, an dem der Hunger nicht unerträglich war.
    Plötzlich überkam mich ein Gefühl der Scham. Noch vor zwei Tagen hatte ich Menschen wie diese bestenfalls ignoriert, meistens jedoch verachtet und – im Grunde wider besseres Wissen, denn ihre Welt war mir nicht so fremd – mich auf den allgemein verbreiteten Standpunkt zurückgezogen, dass sie selbst Schuld an ihrem Schicksal trugen, denn letztendlich lebten wir nicht mehr im Mittelalter und jeder, der wirklich wollte, konnte auch ein Dach über dem Kopf, eine Arbeit und ein für das Nötigste ausreichendes Auskommen haben.
    Das Verwirrendste aber war die Selbstverständlichkeit, mit der ich plötzlich dazugehörte. Vor drei Minuten hatten sie mich noch nicht gekannt und nun, mit der einfachen Zeremonie, einen Schluck aus Landons Flasche zu trinken und sein Angebot, die Nacht über zu bleiben, anzunehmen, gehörte ich dazu.
    Das feuchte Flattern zahlreicher Flügel riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah auf und bemerkte, dass eine große Anzahl von Tauben – sicherlich fünfzig, wenn nicht mehr Tiere – vom Dach aufgestiegen war und in den bleigrauen Himmel stieg. Ich folgte ihnen mit Blicken, bis sie zu winzigen Punkten zusammengeschrumpft und schließlich verschwunden waren.
    Der Wind drehte sich und trieb den eisigen Regen für einen Moment nun auch in den Bereich hinein, der bisher verschont geblieben war. Hastig standen wir alle auf und zogen uns

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