Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Erleichterung war die Kabine nicht besetzt. Ich wankte hinein, verschloss die Tür hastig hinter mir und ließ mich stöhnend auf das schmale Toilettenbecken sinken. Und das ist die einzige Erinnerung, die ich an die gesamte Rückfahrt nach London hatte.
    Für einen Moment wurde mir schwarz vor Augen und als sich die wogenden Schleier wieder lichteten, befand ich mich nicht mehr in der Zugtoilette, sondern saß zusammengesunken auf der harten hölzernen Bank des Dritte-Klasse-Wagens. Mein Kopf war gegen die Fensterscheibe gesunken und als ich mich aufrichtete, spürte ich eine pochende Druckstelle, die mir verriet, dass ich eine geraume Weile so dagesessen haben musste.
    Verwirrt sah ich mich um.
    Ich war nicht allein. Auf der gegenüberliegenden Bank saß eine dunkelhaarige Frau in einem einfachen Kleid, die mich auf eine Weise musterte, die mich fast erschreckte, und die mir klar machte, welch bemitleidenswerten Anblick ich bieten musste. Wenn ich auch nur halb so schlimm aussah, wie ich mich fühlte, dann musste es sehr schlimm sein. Mein ganzer Körper tat weh. Meine Glieder schienen Zentner zu wiegen und ich musste tatsächlich Stunden in dieser unbequemen Haltung dagehockt haben, denn jede noch so kleine Bewegung sandte feurige Schmerzwellen durch meinen Körper. Übelkeit und Schwindel waren verschwunden, aber sie hatten einem Gefühl solch allumfassender Schwäche Platz gemacht, dass ich mich fast danach zurücksehnte. In meinem Mund war ein widerwärtiger Geschmack und ich fühlte einen dünnen, brennenden Schmerz am Hals.
    Am schlimmsten aber war, dass ich mir nicht erklären konnte, wie ich hierher gekommen war. Offensichtlich war meine Übelkeit doch schlimmer gewesen, als ich selbst gespürt hatte. Ich musste, nachdem ich die Toilette (wann eigentlich?) verlassen hatte, völlig die Orientierung verloren haben und hierher in den Dritte-Klasse-Wagen gegangen sein, statt zurück in das Abteil, in dem ich Cohen zurückgelassen hatte.
    Dann fiel mein Blick aus dem Fenster und vor lauter Verblüffung vergaß ich für einen Moment selbst meinen Schrecken.
    Der Zug hatte angehalten. Aber nicht in irgendeinem kleinen Bahnhof auf halbem Wege zwischen Brandersgate und Glasgow. Der mit Menschen gefüllte Bahnsteig vor dem Fenster gehörte ganz eindeutig zur Central Station von London. So unglaublich es mir selbst erschien – ich hatte den ganzen Weg von Schottland hierher verschlafen!
    Erschrocken sprang ich auf, hatte aber nicht mit der immer noch anhaltenden Schwäche meines Körpers gerechnet. Ein heftiges Schwindelgefühl überfiel mich. Ich wankte, streckte instinktiv die Hand aus und hielt mich an der hölzernen Sitzlehne fest. Die Frau auf der gegenüberliegenden Bank fuhr erschrocken zusammen. Ich schenkte ihr ein um Verzeihung bittendes Lächeln, aber sie reagierte nicht so, wie ich erhofft hatte, sondern fuhr im Gegenteil abermals zusammen und machte ein fast angewidertes Gesicht. Rasch sah ich weg, warf einen letzten, völlig verwirrten Blick auf den Bahnsteig hinaus und machte mich dann auf den Weg zur Tür. Der Zug hatte, wenn ich mich recht erinnerte, nur wenige Minuten Aufenthalt in London, ehe er weiterfuhr. Und ich verspürte keine besondere Lust, bis zum nächsten Bahnhof mitzufahren und mich dann wieder auf den Rückweg nach London zu machen; zumal, wie mir jetzt wieder einfiel, ich nicht einmal das Geld für die entsprechende Fahrkarte hatte. So schnell es mir in meinem immer noch anhaltenden Schwächezustand möglich war, eilte ich zur Tür und stieg aus. Ich empfand eine leise Verärgerung Cohen gegenüber, der es in all der Zeit offensichtlich nicht einmal für nötig befunden hatte, nachzusehen, wo ich blieb. Aber dieses Gefühl verschwand sofort, als ich mich der Aufgabe gegenübersah, die beiden Stufen zum Bahnsteig hinunterzusteigen. So lächerlich es klingen mag – es überstieg fast meine Kraft. Schon die Tür schien eine Tonne gewogen zu haben; ich hatte mich mit der Schulter dagegenstemmen müssen, um sie überhaupt aufzudrücken, und ich musste mich mit beiden Händen festklammern, um auch nur den ersten der beiden vor mir liegenden Schritte zu tun. Alles drehte sich um mich und selbst das Atmen fiel mir jetzt schwer. Was war nur mit mir los?
    Ein junger Mann, der nur wenige Schritte abseits gestanden hatte, kam auf mich zu, bedachte mich mit einem fast mitleidigen Blick und streckte die Hand aus um mir zu helfen, als wäre ich ein achtzigjähriger Greis, kein Mann von gerade einmal

Weitere Kostenlose Bücher