Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
dichter an die Wand zurück. Ich fragte mich, warum Landon und die anderen nicht einfach in eines der leer stehenden Häuser gingen, denn dort drinnen war es vielleicht nicht wärmer als hier, aber sie würden wenigstens Schutz vor dem Regen dem kalten Wind haben. Aber ich stellte diese Frage nicht laut. Jede Kritik wäre mir im Moment falsch und fast wie ein Verrat vorgekommen.
»Hast du Geld?«, fragte Landon plötzlich.
Ganz automatisch senkte ich die Hand in die Tasche, aber ich führte die Bewegung nicht einmal ganz zu Ende. Es war nur ein Reflex gewesen. Bis gestern noch hatte ich mir über diese Frage niemals Gedanken machen müssen, aber jetzt wurde mir klar, dass auch diese selbstverständliche Geste zu den Dingen gehörte, die es in meinem neuen Leben nicht mehr gab. Ich schüttelte stumm den Kopf, doch meine Gefühle mussten sich so deutlich auf meinem Gesicht widerspiegeln, dass Landon mitleidsvoll lächelte und eine Bewegung der gleichen Bedeutung machte. »Schon gut«, sagte er. »Es gibt einen Bäcker, unten an der Ecke, der uns für ein paar Penny manchmal ein Brot verkauft, das er nicht losgeworden ist. Aber wenn du nichts hast, macht das auch nichts.« Er stand auf. »Bleib hier bei Hank und den anderen. Ich gehe nachsehen, ob ich irgendetwas zum Abendessen für uns organisieren kann.«
Er wandte sich um und verließ den Hof auf dem gleichen Wege, auf dem ich ihn betreten hatte, und während ich ihm dabei zusah, verrieten mir seine Bewegungen, dass ich meine Schätzung, sein Alter betreffend, um sicherlich zehn Jahre nach unten korrigieren musste. Ich sah ihm nach, bis er hinter dem Stapel von Kisten und Mülltonnen verschwunden war, und als ich den Kopf wieder senkte, streifte mein Blick die Kante des Daches, von dem die Tauben aufgeflogen waren. Eines der Tiere war zurückgeblieben. Es saß da, hatte die grauen Schwingen zum Schutz vor der Kälte eng an den Körper geknickt und starrte mich an.
»Mistwetter!« Inspektor Wilbur Cohen warf die Tür hinter sich ins Schloss, stapfte ein paar Mal mit den Füßen auf und schälte sich dann Grimassen schneidend aus dem Regenmantel, der seine Dienste offensichtlich nicht besonders gut getan hatte, denn Cohen triefte vor Nässe. Sein Gesicht hatte sich gerötet und das Haar klebte so eng am Schädel, dass man sehen konnte, wie dünn es bereits geworden war. Mit einer ärgerlichen Grimasse hängte er den Mantel an den Haken, hob dann plötzlich den Kopf und sog übertrieben schnüffelnd die Luft ein. »Rieche ich da frischen Tee?«
»Er ist schon seit einer Stunde fertig. Sie sagten, Sie kämen um sechs.«
Cohen zuckte mit den Schultern. »Der Geist war willig, aber die Arbeit zu viel«, sagte er, das Sprichwort reichlich frei auslegend. »Vielleicht wissen Sie ja, wie das ist. Man ist ein paar Tage nicht da, und wenn man zurückkommt, dann bricht der Schreibtisch unter der Arbeit zusammen, die sich mittlerweile dort angesammelt hat.«
Der Mann, dem die Worte galten, lächelte pflichtschuldig, enthielt sich aber jeder Antwort. Er war allerhöchstens halb so alt wie Cohen und einen guten Kopf größer, aber sehr viel schlanker und in dem abgetragenen Hausmantel und den an den Zehen schon zerschlissenen Pantinen (beides hatte er, wie auch alle anderen Kleidungsstücke, die er am Leib trug, von Cohen geliehen) machte er einen fast lächerlichen Eindruck. Ein einziger Blick in sein Gesicht machte diesen Eindruck jedoch sofort zunichte. Es war schmal und der pedantisch ausrasierte Bart verlieh ihm wohl unter normalen Umständen einen fast aristokratischen Zug. Im Moment sah es jedoch einfach nur krank aus.
Cohen sprach nichts von all dem aus, was ihm beim Anblick dieses Gesichtes durch den Kopf schoss, sondern zwang sich zu einem Lächeln und ging dann an Robert Craven vorbei in den Salon, in dem ein prasselndes Kaminfeuer Wärme verbreitete und zusammen mit dem Klatschen des Regens gegen die Fensterscheiben und dem gedämpften Heulen des Windes draußen eine Atmosphäre anheimelnder Behaglichkeit schuf. Auf dem kleinen Tischchen vor dem Kamin standen eine Kanne Tee, zwei Tassen und ein Teller mit dreieckig geschnittenen Sandwiches. Cohen maß das Arrangement mit einem prüfenden Blick, ging jedoch daran vorbei und streckte die Hände über die Flammen im Kamin aus.
»Das tut gut«, sagte er, während er die Finger über dem Feuer aneinander rieb und sichtlich die Wärme genoss. »Sie glauben ja gar nicht, wie kalt es geworden ist. Man könnte
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