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Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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meine Gedanken und ließ mich aufsehen. Ich glaubte eine Bewegung zu erkennen, aber meine hundert Jahre alten Augen vermochten sie nicht mehr genau zu bestimmen; ich sah nur einen zuckenden Schatten, der vielleicht nicht einmal wirklich existierte, sondern nur Einbildung war. Vielleicht hatte der Sturm eine alte Zeitung gegen das Fenster geweht, deren durchnässte Blätter sich jetzt im Wind wanden.
    Trotzdem – irgendetwas an dieser Bewegung beunruhigte mich. So sehr, dass es mir nicht gelang, sie ganz aus meinen Gedanken zu verbannen, sondern ich schließlich sogar aufstand und mühsam zum Fenster schlurfte um nachzusehen.
    Es war keine alte Zeitung. Es war eine Taube, ein graues, vollkommen durchnässtes Tier, das sich mit den Krallen im morschen Holz des glaslosen Rahmens festhielt und mit den Flügeln schlug, um vom Sturm nicht hereingeweht zu werden. Es starrte mich an und für einen Moment glaubte ich in seinen Augen weit mehr als den trüben Intellekt eines Tieres zu erblicken. Plötzlich musste ich wieder an die Taube denken, die vorhin oben auf dem Dach gesessen und mich angestarrt hatte, und ebenso plötzlich war ich sicher, dass es sich um dasselbe Tier handelte.
    Als ich mich dem Fenster weiter näherte, flog sie auf, hing einen Moment lang mit wild schlagenden Flügeln fast reglos in der Luft und kämpfte sich dann, mühsam gegen den Sturm anrennend, in die Höhe. Obwohl sie alle Kraft aufwandte, die in ihrem Körper war, kam sie kaum von der Stelle. Wäre ich nur eine Winzigkeit schneller gewesen oder hätte ich es wirklich gewollt, so wäre es mir wahrscheinlich ein Leichtes gewesen, sie mit der Hand zu berühren oder gar einzufangen. Aber ich stand einfach nur da und sah ihr nach, bis der Sturm sie verschlungen hatte.
    Als ich mich wieder umwandte, begegnete ich Landons Blick. Er hatte sich halb auf seinem Lager aufgerichtet und sah mich auf eine so sonderbare Weise an, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken rann.
    »Es war nur eine Taube«, sagte ich.
    »Sie nisten oben auf dem Dach«, sagte er mit einer entsprechenden Geste. »Drecksviecher, die alles voll scheißen und die Ratten anlocken. Aber harmlos. Manchmal gelingt es uns sogar eine zu fangen. Sie schmecken ausgezeichnet.« Er lächelte flüchtig, dann schien ihm plötzlich eine Idee zu kommen. »Versuchen wir es?«
    »Was?«, fragte ich.
    Landon machte eine flatternde Handbewegung zur Decke empor. »Uns ein zweites Abendessen zu organisieren«, sagte er. »Bei dem Sturm sind sie bestimmt alle oben. Kann mir nicht vorstellen, dass sie große Lust haben spazieren zu fliegen.«
    Der Gedanke erschien mir im allerersten Moment höchst verlockend – allein die Vorstellung, ein Stück gebratenes Fleisch – selbst wenn es nur ein Taubenschenkel war – zwischen die Zähne zu bekommen, ließ mir schon wieder das Wasser im Munde zusammenlaufen. Aber zugleich erschreckte er mich auch zutiefst. Ich konnte nicht genau sagen warum, aber irgendetwas stimmte nicht mit dieser Taube. Das Tier hatte sich nicht so benommen, wie es dies sollte. Beinahe hastig schüttelte ich den Kopf.
    »Lieber nicht. Bei dem Wetter ist es bestimmt gefährlich, zum Dach hochzuklettern. Außerdem bin ich müde.«
    »Wahrscheinlich wäre es auch zu anstrengend für dich«, sagte Landon. »Es gibt nur eine Leiter nach oben. Ist nicht ungefährlich, sie hinaufzusteigen.«
    Doch meine Erleichterung hielt nur eine Sekunde. Landon hatte zwar die Idee fallen lasen, mich auf die Taubenjagd mitzunehmen, den Gedanken an einen zusätzlichen Abendschmaus jedoch nicht. Er stand auf, schlurfte zu Hank hinüber und rüttelte ihn unsanft an der Schulter. Hank hob mit einem unwilligen Grunzen den Kopf und wollte seine Hand beiseite schieben, doch Landon schüttelte ihn nur noch heftiger.
    »Steh auf, Schlafmütze«, sagte er. »Wir gehen aufs Dach, ein paar Tauben fangen.«
    »Hä?«, machte Hank verschlafen. Verständnislos blinzelte er zu Landon hoch.
    »Bob hat mich auf die Idee gebracht«, sagte Landon. »Bei dem Sauwetter trauen sie sich bestimmt nicht raus. Wir können bestimmt ein paar schnappen.«
    Für einen Moment sah es so aus, als würde Hank sich einfach wieder hinlegen und weiterschlafen. Aber Landon gab nicht auf. Er rüttelte Hank vollends wach, weckte auch noch zwei der anderen und nur wenige Augenblicke später verließ die improvisierte Jagdpartie den Raum.
    Ich sah ihnen mit gemischten Gefühlen nach. Meine Beunruhigung hatte nicht nachgelassen, sondern war eher noch

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