Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
auszusaugen, um mir selbst einige weitere Stunden oder bestenfalls Tage zu erschleichen, dann begriff ich, wer der wahre Schuldige war. Ich dachte an Hennessey und Crowley und die anderen; und eine kalte, mörderische Wut überkam mich. Was um alles in der Welt hatten sie diesem Kind angetan, dass es über Menschenleben sprach wie über Spielzeuge, mit denen man nach Belieben verfahren konnte?
»Das wird nicht nötig sein«, sagte ich fast hastig. »Ich fühle mich schon viel besser.« Dann fiel mir eine Erklärung ein, die weit überzeugender war. »Außerdem könnte es sein, dass wir sie noch brauchen. Craven hat eine Menge Freunde und sie sind nicht minder gefährlich als er. Wir werden froh um jeden Mann sein, der auf unserer Seite steht.«
Joshua wirkte nicht überzeugt. Zweifelnd blickte er auf das halbe Dutzend angstvoll zusammengekauerter Menschen herab. »Sie haben gesehen, was ich getan habe«, sagte er.
Ich bemühte mich, so überheblich wie nur möglich zu lachen. »Und?«, fragte ich. »Wer würde ihnen schon glauben? Und selbst wenn – wenn wir Craven erst einmal gefunden und unschädlich gemacht haben, spielt es keine Rolle mehr.«
Joshuas Gesicht hellte sich auf. »Dann suchen wir ihn?«
Statt einer direkten Antwort stand ich auf und wandte mich um. Ich war beinahe selbst überrascht, wie leicht mir die Bewegung fiel. Ich war noch immer im Körper eines mindestens siebzigjährigen Mannes gefangen, aber ich fühlte mich ausgeruht und frisch wie seit langem nicht mehr. Mit einer Kopfbewegung deutete ich auf eine Taube, die auf dem Fenstersims saß; eines von allerhöchstem einem Dutzend Tieren, die das lautlose Gemetzel überstanden hatten. »Lass sie nach Robert Craven suchen«, verlangte ich.
Sie hatten etwas vergessen. Howard wusste nicht, was, doch das Gefühl, etwas ungemein Wichtiges übersehen zu haben, wurde mit jedem Schritt stärker und quälender. Die schwarze Pyramide im Zentrum R’lyehs lag nun eine gute halbe Stunde hinter ihnen, doch wie auf dem Weg hinein in die Stadt, schien das Labyrinth aus Trümmern und verwüsteten Ruinen kein Ende zu nehmen. Der Strand, auf dem sie George und die Zeitmaschine zurückgelassen hatten, hob sich als dunkelgelber Strich vor dem roten Horizont ab und so schnell sie auch liefen – sie waren in ein Tempo verfallen, das fast schon einem Rennen gleichkam –, war er doch bisher nicht sichtbar näher gekommen. Und das Erbeben der Wirklichkeit hielt an. Zwei Mal während der letzten halben Stunde war R’lyeh zu schattenhafter Existenz rings um sie herum entstanden und wieder vergangen, doch auch in den Zeiten dazwischen sahen sie immer wieder Bewegung, wo keine sein durfte, die immer wahrscheinlicher werdende Möglichkeit von Leben, das vor Jahrmillionen vergangen war, und Howards Beklemmung wuchs mit jedem Schritt. Aus seiner Theorie war beinahe Gewissheit geworden. Wie er George gegenüber gemutmaßt hatte, war diese Welt der Zukunft nur eine Möglichkeit; nur eine von unzähligen Alternativen, wenn auch wohl die wahrscheinlichste. Aber jemand veränderte diese Wahrscheinlichkeiten. Irgendwann in der Vergangenheit – vielleicht vor einem Jahr, vielleicht vor einer Million, vielleicht vor hundert Millionen Jahren, geschah in diesem Moment etwas, das die zukünftige Entwicklung dieses Planeten änderte, wurden die Weichen des Schicksals neu gestellt, sodass R’lyeh nicht unterging, sondern bis zum Ende der Zeiten über die Erde und ihre Bewohner herrschte.
Howard zweifelte nicht daran, dass diese Theorie der Wirklichkeit zumindest nahe kam – aber sie war nicht alles. Da war etwas, etwas ungemein Wichtiges, was sie beide übersehen hatten.
Und als er endlich begriff, was es war, war es beinahe zu spät. Rowlf stockte plötzlich mitten im Schritt, streckte den Arm aus und riss auch ihn so heftig zurück, dass Howard einen überraschten Schrei ausstieß und um ein Haar gestürzt wäre, und es dauerte noch einmal eine Sekunde, bis auch Howard die Bewegung vor ihnen gewahrte.
Diesmal war es kein Schatten. Kein Schemen aus dem Universum des Möglichen, das sich vergebens bemühte, in das des Wirklichen überzuwechseln. Die Gestalt vor ihnen war real. Für einen Moment, der zu kurz war, um sie wirklich zu erkennen, gewahrte er etwas wie einen massigen, gedrungenen Körper, pendelnde Gliedmaßen und das Glitzern von rotem Sonnenlicht auf schuppiger Haut. Die Gestalt verschwand so rasch, wie sie aufgetaucht war, aber sie hatten sie beide gesehen,
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