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Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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klar, dass ich nicht einfach weiter schweigen und auf Dauer nichts anderes als den Zuhörer spielen konnte. Joshua war nicht dumm.
    »Er hat sie alle getötet«, fuhr er fort und nun war das Beben in seiner Stimme eindeutig Zorn, kaum noch Angst. »Der Turm ist vernichtet. Mr. Hennessey und alle anderen sind ertrunken. Keiner ist mehr übrig. Ich dachte, er hätte Euch auch …« Seine Stimme versagte. Er senkte mit einem Ruck den Blick, wohl damit ich das Schimmern in seinen Augen nicht sah, denn er war trotz allem noch Kind genug, sich seiner Tränen zu schämen. Ich nutzte die winzige Pause, um die Hand nach ihm auszustrecken und ihm, aus einem mir selbst nicht ganz verständlichen Impuls heraus, mit den Fingern durch das Haar zu fahren, wie man es eben bei einem Kind seines Alters tut, dem man Trotz zusprechen möchte. Jedenfalls wollte ich es. Doch ich kam nicht dazu, denn Joshua griff seinerseits nach meiner Hand, hielt sie fest und ich konnte sehen, wie sich seine Augen erschrocken weiteten, als er die papiertrockene, graue Haut sah, die sich über den arthritischen Knöcheln meiner Rechten spannte.
    »Meister!«, hauchte er entsetzt. »Was ist mit Euch geschehen?«
    »Nichts«, sagte ich hastig. Ich versuchte die Hand zurückzuziehen, aber Joshua hielt meine Finger mit überraschender Kraft fest und seine Berührung reichte, mir neue Schmerzen zu bereiten.
    »War er das?«, fragte er. »Hat Robert Craven Euch das angetan?«
    »Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, sagte ich.
    »Er war es!«, sagte Joshua. »Das ist sein Werk, nicht wahr?« Er ließ meine Finger los und ballte die eigenen winzigen Hände zu Fäusten. »Es hat ihm nicht gereicht, alles zu zerstören, was Ihr erschaffen habt. Es hat ihm nicht gereicht, alle anderen zu vernichten. Er musste Euch auch noch das antun. Dafür werde ich ihn vernichten! Er wird dafür bezahlen, das schwöre ich!«
    »Es ist gut, Joshua«, sagte ich, so sanft es mir möglich war. »Ich verstehe Deinen Zorn. Ich weiß, was in dir vorgeht, aber du kannst nichts mehr für mich tun. Er würde auch dich vernichten, glaub mir. Dieser Mann ist stärker, als ich glaubte. Es war mein Fehler, ihn unterschätzt zu haben, und ich muss dafür bezahlen. Ich will nicht, dass dir auch noch etwas geschieht.«
    Es kam mir selbst ein wenig absurd vor, in dieser Weise über mich zu reden, aber die Worte waren nur zur Hälfte unwahr; zur anderen enthielten sie eine Wahrheit, die mir für einen Moment so grausam ironisch erschien, dass ich am liebsten aufgeschrien hätte. Alles, was ich sagte, entsprach tatsächlich meinen wahren Gefühlen: Ich hatte meinen Gegner unterschätzt und ich hatte dafür bezahlt, einen Preis, der noch viel höher war, als Joshua annehmen mochte. Und ich wollte tatsächlich nicht, dass ihm etwas zustieß. Der Mann, der meinen Körper gestohlen hatte, würde Joshua sicherlich nicht töten, sondern vermutlich ganz im Gegenteil froh sein, den letzten Überlebenden seiner Schüler wiederzusehen. Aber er würde ihm etwas Schlimmeres antun als mir. Trotz allem war dieser Knabe, der aussah wie ein Achtjähriger, sich benahm wie ein Erwachsener und doch in Wahrheit gerade fünf Jahre zählte, nicht schlecht, das spürte ich. Hennessey und mit ihm Crowley und die Ungeheuer aus den Tiefen des Meeres hatten ihn vermutlich vom ersten Tage an unter ihrem bösen Einfluss gehalten und er hatte gar keine andere Wahl gehabt, als so zu werden, wie er war. Doch der Schmerz in seinen Augen, das Mitleid, das er dem Mann gegenüber empfand, für den er mich hielt, all diese Gefühle, zu denen Crowley und die TIEFEN WESEN gar nicht fähig waren, waren echt. Und er war jung genug, sich von dem verderblichen Einfluss der finsteren Mächte zu erholen und – vielleicht – eines Tages doch so etwas wie ein ganz normales Leben führen zu können. Es war seltsam, fast absurd – ich sollte diesen Jungen hassen, mich zumindest vor ihm fürchten, doch stattdessen empfand ich in diesem Augenblick nichts als Mitleid mit ihm; und eine tiefe, ehrlich empfundene Zuneigung, die ich selbst mir am allerwenigsten erklären konnte.
    »Das ist nicht wahr!«, protestierte Joshua, nun ganz im fast hysterischen Tonfall eines trotzigen Kindes. »Vielleicht bin ich selbst nicht stark genug, aber gemeinsam können wir ihn besiegen.«
    »Nein, Joshua«, sagte ich noch einmal. »Du allein bist nicht stark genug und ich kann dir nicht mehr helfen. Sieh mich an. Ich werde sterben, in wenigen Tagen, vielleicht schon

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