Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
heute.«
»Nein!«, protestierte Joshua. Seine Augen füllten sich mit Tränen, die er jetzt gar nicht mehr zurückzuhalten versuchte. »Sagt so etwas nicht!«
»Aber es ist die Wahrheit«, fuhr ich fort. »Er hat mich geschlagen, Joshua. Er hat mir alles genommen. Ich kann dir nicht mehr helfen. Ich bin nichts als ein alter, schwacher Mann, der kaum noch in der Lage ist, sich auf den Beinen zu halten. Ich weiß nicht einmal, wo er ist.«
»Aber wir können ihn finden!«, widersprach Joshua. Er machte eine Bewegung auf die Tauben, die so hektisch war, dass einige der Tiere erschrocken hochflatterten und sich erst nach einem Moment wieder setzten. »Meine kleinen Freunde hier können ihn aufspüren, so, wie sie Euch gefunden haben. Es ist ganz leicht. Ihr selbst habt mir gezeigt, wie es geht – erinnert Ihr Euch denn nicht?«
Hinter meiner Stirn begann eine Alarmglocke zu schrillen und ich überlegte mir meine nächsten Worte sehr sorgsam. »Ich habe dir vieles gezeigt, mein Junge«, sagte ich. »Vieles davon war richtig, manches vielleicht auch falsch. Was ich dir nicht gesagt habe, ist wohl, dass es selbst für mich Gegner gibt, die ich nicht besiegen kann. Und du auch nicht. Ich werde dir jetzt einen letzten Befehl geben und ich wünsche, dass du ihm gehorchst, ganz gleich, was geschieht, und ganz gleich, wie lange ich noch bei dir bin. Du wirst Robert Craven nicht suchen. Ich will, dass du diese Stadt und dieses Land verlässt und weggehst, weit weg, so weit wie nur irgend möglich. Geh nie wieder in seine Nähe. Und du darfst die Kräfte, die ich dir zeigte, nie wieder nutzen, denn ihr Wirken könnte ihn und seine Helfer auf dich aufmerksam machen.«
Pasons starrte mich aus großen Augen an und schwieg. Auch ich sprach nicht weiter. Trotz allem hatten mich seine Worte mit einem Gefühl verzweifelter Hoffnung erfüllt. Ich wusste, dass er Recht hatte: Wenn diese Tiere mich gefunden hatten, dann konnten sie auch meinen Körper finden, und möglicherweise hätte ich sogar die Kraft aufgebracht, Joshua noch einmal zu folgen und Crowley gegenüberzutreten. Aber was hätte es genutzt? Ganz anders als ich befand sich Crowley im Vollbesitz seiner Kräfte, sowohl körperlicher als auch geistiger Art. Und selbst, wenn das nicht so gewesen wäre, so hätten wenige Worte ausgereicht, den Irrtum aufzuklären und Joshua erkennen zu lassen, wer ich wirklich war.
»Das meint Ihr nicht ernst«, sagte Joshua in beinahe flehendem Ton. »Das glaube ich nicht! Das sagt Ihr nur, weil Ihr Angst um mich habt. Aber das braucht Ihr nicht. Ich bin stark! Ich weiß nicht, was er Euch angetan hat, aber ich bin ihm entkommen und ich weiß alles, was Ihr mich gelehrt habt. Wenn Ihr mir helft, können wir ihn besiegen und -«
»Ich kann mir nicht einmal mehr selbst helfen!«, fuhr ich ihn an. »Willst du es nicht begreifen? Ich habe dir einen Befehl gegeben und du wirst dich daran halten, verstanden?«
Joshua Pasons widersprach nicht mehr. Aber er tat etwas anderes. Für lange Zeit, vielleicht zehn Sekunden, vielleicht länger, stand er einfach reglos neben mir und sah mich an, auf eine Art und Weise, dass beinahe ich es gewesen wäre, der den Blick senkte und das stumme Duell verlor, und plötzlich hob er die Hand und machte eine rasche, befehlende Geste.
Wieder verstrichen Sekunden, in denen nichts geschah. Dann …
Das Geschehen war so bizarr und unheimlich, dass ich wie gelähmt dahockte und alles über mich ergehen ließ, obgleich es mich mit einem abgrundtiefen Entsetzen erfüllte. Erst eine, dann eine zweite und dritte und schließlich bis auf wenige Ausnahmen sämtliche Tauben erwachten aus ihrer Ruhe und kamen mit kleinen, trippelnden Schritten auf Joshua und mich zu. Es mussten weit über hundert der grauen Tiere sein, die uns schließlich umgaben wie ein lebender Teppich, und durch die glaslosen Fenster und die Tür strömten immer noch mehr und mehr Tiere herbei, bis es schließlich keinen Fußbreit Boden mehr zu geben schien, der nicht von gefiederten Körpern bedeckt war. Für einige wenige Augenblicke saßen sie völlig reglos da und plötzlich begann eines der Joshua am nächsten stehenden Tiere zu zittern, stieß einen sonderbar klagenden Laut aus und fiel leblos auf die Seite. Wie ein Dominostein, der von einem anderen angestoßen war und seinerseits einen dritten mit sich riss, fiel auch das neben ihm hockende Tier um, das nächste und nächste und so weiter. Es dauerte nicht einmal mehr eine Minute, bis der Raum
Weitere Kostenlose Bücher