Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
Relief selbst jedoch konnte ich mich trotz größter Konzentration nicht mehr erinnern. Je intensiver ich es mir in Erinnerung zu rufen versuchte, desto weniger gelang es mir, doch zweifelte ich mittlerweile kaum noch an Howards Behauptung, dass es dem auf den beiden Steinen glich.
Nach ein paar Sekunden legte ich die Steine zurück und widmete mich den Büchern. Wie alle Werke in Howards Sammlung handelte es sich auch bei denen, die aufgeschlagen und mehr oder weniger übereinander gestapelt über den Tisch verteilt lagen, um Werke, die sich mit Okkultismus, Magie, untergegangenen Kulturen und dergleichen mehr befassten. Größtenteils waren sie in mir unbekannten Sprachen verfasst, teilweise waren mir sogar die Schriftzeichen selbst fremd. Nacheinander nahm ich die Bücher hoch und betrachtete die aufgeschlagenen Seiten, mit denen sich Howard beschäftigt hatte, und blätterte jeweils auch ein paar Seiten zurück, ohne auf etwas zu stoßen, das mir weiterhalf.
Dann entdeckte ich die Illustration. Sie befand sich in einem der untersten Bücher des Stapels, einem großen, schweren und offensichtlich sehr alten Werk, gebunden in dickes, dunkles Leder, das im Laufe der Zeit fast steinhart geworden war. Eine komplette Seite wurde von der Zeichnung eines fremdartigen Symbols eingenommen, dessen Linien sich auf unmögliche Art ineinander wanden. Es waren Zeichen der gleichen Art, wie sie sich auf dem Relief befanden, und auch ihr Anblick löste in mir Schwindel und Kopfschmerzen aus. Vor Aufregung über die Entdeckung begann mein Herz schneller zu schlagen.
Noch einmal griff ich nach einem der beiden Steine und verglich das Symbol darauf mit dem in dem Buch. Anders als ich erwartet hatte, waren sie nicht miteinander identisch, jedenfalls nicht vollständig. Wohl aber erkannte ich einzelne Teile wieder. Ohne Zweifel entstammte die Abbildung der gleichen Kultur wie das Relief.
Ich musterte den Text auf der gegenüberliegenden Seite genauer. Er war zwar in lateinischen Buchstaben geschrieben, aber in einer mir fremden Sprache. Trotzdem überflog ich ihn und schließlich wurde ich fündig. Inmitten der unbekannten Wörter entdeckte ich einen Begriff, der mir durchaus bekannt war.
Eine ungeheure Aufregung ergriff mich; mein Puls begann zu rasen. Ich musste wieder daran denken, dass Howard schon vor einiger Zeit behauptet hatte, dass die Zeichen nicht von den GROSSEN ALTEN, sondern einer anderen, ihnen ähnlichen Kultur stammten. Bislang war ich diesbezüglich skeptisch geblieben. Zu groß war die Ähnlichkeit mit allem, was ich von den GROSSEN ALTEN kannte, aber jetzt erkannte ich, dass Howard Recht gehabt hatte. Die Erkenntnis hätte mich erleichtern sollen, denn immerhin zeigte sie, dass das Relief nichts mit meinen uralten Erzfeinden zu tun hatte, aber sie tat es nicht. Jetzt wusste ich, warum mir die Zeichen so bekannt vorgekommen waren, und auch wenn sie nicht von den GROSSEN ALTEN stammten, bedeutete das nicht, dass die Gefahr deshalb geringer war.
Meine Hände begannen zu zittern und die Buchseite verschwamm vor meinen Augen, mit Ausnahme der beiden mir bekannten Wörtern inmitten des Textes, die mit so schrecklichen Erinnerungen verbunden waren. Wie gebannt starrte ich sie an.
Sie lauteten Thul Saduun.
Norris wusste nicht, wie lange er bereits durch die unheimlichen Gänge irrte. Es mochten Stunden sein, vielleicht Tage. Er hatte längst schon jedes Gefühl für die Zeit verloren. Selbst der Schrecken und das Entsetzen waren irgendwann zu groß geworden, als dass er sie noch bewusst wahrnahm.
Kelly hatte er nicht wiedergetroffen und irgendwann hatte er auch die Hoffnung aufgegeben, dass es ihm noch gelingen würde. Die Wahnvorstellungen hingegen hielten auch weiterhin an. Nichts deutete darauf hin, dass er sich noch an Bord der THUNDERCHILD befand, obwohl es gar nicht anders sein konnte. Wände, Boden und Decke bestanden überall aus massivem Stein und sie zogen sich so lang hin, wie es im Inneren des zwar großen, aber dennoch nur wenige Dutzend Yards langen Zerstörers schlichtweg unmöglich war. Unter anderen Umständen wäre Norris ohne jeden Zweifel davon überzeugt gewesen, sich im Inneren eines Berges oder einem unterirdischen System von Gängen und Höhlen zu befinden, aber ebenso überzeugt war er davon, dass er das Schiff nicht verlassen hatte.
Eine Zeit lang hatte er sich dem Glauben hingegeben, dies alles wäre nicht mehr als ein Traum und er würde irgendwann zu Hause in seinem Bett aufwachen
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