Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
mit. Seine Stimme klang nervös und er blickte sich unbehaglich um, was ich gut verstehen konnte. Die Gegend, in der die Pension lag, hatte sich seit meinem ersten Besuch kaum verändert und wahrscheinlich würde sie es nie tun. Die Häuser waren heruntergekommen, ihre wenigen Fenster selbst am hellen Tag größtenteils mit Brettern vernagelt. Überall lagen Abfälle herum und es stank durchdringend nach Fäulnis. In einem Hauseingang auf der gegenüberliegenden Straßenseite drückten sich ein paar wenig Vertrauen erweckende Gestalten herum.
Ich stieg aus, bedankte mich bei dem Kutscher und trat auf das WESTMINSTER zu. Nur ein handgemaltes, fast verblichenes Schild, das neben der Tür angenagelt war, deutete daraufhin, dass es sich um eine Pension handelte, aber das spielte keine Rolle. Gäste wurden hier ohnehin nicht aufgenommen. Während ich anklopfte, trieb hinter mir der Kutscher seine Pferde an, vermutlich heilfroh darüber, wieder aus dieser Gegend verschwinden zu können, in die sich normalerweise wohl kaum ein Fahrgast verirrte.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Tür aufgerissen wurde und ich in Rowlfs missgelauntes Bulldoggengesicht blickte. Sollte sich tatsächlich einmal ein potenzieller Gast hierher verirren, so würde bereits der Anblick dieses Gesichtes genügen, ihn sich rasch eines Besseren besinnen zu lassen. Gleich darauf jedoch hellte sich Rowlfs Miene auf, als er mich erkannte, und er begann über das ganze Gesicht zu strahlen.
»Robert!«, rief er, umarmte mich, als hätten wir uns seit einer halben Ewigkeit und nicht erst seit ein paar Stunden nicht mehr gesehen, und presste mich an sich, dass mir die Luft wegblieb. Glücklicherweise dauerte die Umarmung nur wenige Sekunden, dann gab er den Weg frei und ließ mich eintreten.
»Ist Howard schon auf?«, erkundigte ich mich.
»Isser«, bestätigte Rowlf und schloss die Tür. »Aba er is nich da nich. Is schon vor gut zwei unner halben Stunde wech gegangn. Leida hatter nich gesacht wohin, aba es würd wohl ’ne Weile dauern.«
Ich runzelte die Stirn. Geheimniskrämerei gehörte so unvermeidlich zu Howard, wie seine stinkenden Zigarren, aber er neigte nicht zu Alleingängen und war im Allgemeinen ziemlich zuverlässig. Für diesen Vormittag waren wir verabredet gewesen und wenn er trotzdem weggegangen war, ohne auf mich zu warten, musste es einen wirklich wichtigen Grund dafür geben.
»Hat er denn gar nichts gesagt?«
Rowlf schüttelte den Kopf. »Nee. H.P. hat bis spät inner Bibliothek üba irgendwelchen Büchern gebrütet. Das macht er schon seit Wochen fast jede Nacht, aba heut isser erst gar nich schlafen gegangen. Heut Morgen hatter die Zeitung gelesn und dann is er plötzlich aufgesprungn un aussem Haus gestürmt. Wollte nich mal, dass ich mitkomm, sondern hat sich ’ne Kutsche kommen lassen. Er hat nur gesacht, es würd nich lange dauern, un ich soll dir ausrichten, dassde ’nen Moment warten sollst, falls du vor ihm kämst.«
Mary Winden kam aus der Küche und begrüßte mich mit einem freudigen Lächeln. Ich bat sie einen Kaffee für mich aufzubrühen und ging vor Rowlf her in die Bibliothek. Von der peniblen Ordnung, die hier gewöhnlich herrschte, war im Moment nichts zu erkennen. Zahlreiche Bücher waren aus dem deckenhohen Regal herausgenommen worden, das eine ganze Wand bedeckte. Einige davon lagen aufgeschlagen auf dem gewaltigen Tisch in der Mitte des Raumes, andere stapelten sich auf den Stühlen und sogar dem Fußboden. Ein Aschenbecher quoll vor Zigarrenstummeln fast über und auf den wenigen freien Stellen des Tisches erkannte ich die einander überlappenden Spuren von Kaffeetassen. Sehr vielen Tassen.
Auf einem bequemen Lehnsessel in der Ecke neben dem Kamin entdeckte ich die unordentlich zusammengefaltete Ausgabe der heutigen Times. Ich blätterte sie flüchtig durch. Der Überfall am gestrigen Abend war zu spät erfolgt, um noch erwähnt zu werden, und auch sonst konnte ich nichts entdecken, was Howard dazu gebracht haben könnte, so überstürzt das Haus zu verlassen.
Ich legte die Zeitung wieder zurück und wandte mich dem Tisch zu. Zwischen den Büchern lagen auch die beiden knapp handtellergroßen von dem Relief stammenden Gesteinsbrocken, die ich von Blossom und Hasseltime erhalten hatte. Ich zwang mich, die Muster darauf zu betrachten und erkannte, dass sie tatsächlich bis auf winzige Abweichungen, die durch die unregelmäßige Form der Steine bedingt war, identisch waren. An das Symbol auf dem
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