Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
Eindruck hatte ihn nicht getäuscht. Irgendetwas an dieser Umgebung stimmte ganz entschieden nicht.
»Sie muss dagewesen sein«, beharrte Kelly. »Gänge entstehen schließlich nicht so einfach aus dem Nichts heraus. Wahrscheinlich waren wir einfach nur abgelenkt. Oder hast du vielleicht eine bessere Erklärung?«
Nein, eine Erklärung hatte Norris nicht, aber er wusste, dass es nicht so war, wie Kelly behauptete. Sicher, sie hatten sich auf dem Weg hierher kurze Zeit gestritten und nicht so genau wie vorher auf ihre Umgebung geachtet, aber er war überzeugt, dass ihnen eine solche Abzweigung zu beiden Seiten hin auf keinen Fall entgangen wäre.
Dennoch erstreckte sie sich jetzt vor ihnen.
»Wir sollten weiter geradeaus gehen«, schlug er vor. »Dann müssten wir auf alle Fälle wieder an die Treppe kommen, über die wir hergekommen sind.« Und über die zumindest er auf alle Fälle den Rückweg antreten würde, sobald sie sie erreicht hatten, fügte er in Gedanken hinzu. Es war ihm egal, wie viel Beute es in diesem Schiff zu machen gab. Selbst wenn die Kronjuwelen der Queen hier irgendwo versteckt wären, würde er keine Minute länger als unbedingt nötig hierbleiben. Es war immer noch besser, auf Geld zu verzichten, als das Leben zu verlieren. Nicht einmal Neugier rechtfertigte einen solchen Preis. Es war ihm völlig egal, was mit diesem verfluchten Schiff los war, solange es ihm nur gelang, lebend wieder von hier wegzukommen.
Von nackter Angst getrieben, hastete er los, ohne auf Kelly zu warten. Hinter sich hörte er die Schritte seines Begleiters, doch er kümmerte sich nicht darum, so wenig wie um die Türen rechts und links des Ganges.
Norris wusste nicht, wie lange er rannte. Schon nach kurzer Zeit begannen ihn heftige Seitenstiche zu quälen, doch er ignorierte sie und stürmte blindlings weiter, die Lampe wie ein flammendes Fanal am ausgestreckten Arm vor sich hertragend.
Irgendwann blieb er stehen. Kellys Schritte hinter ihm waren verstummt und als er sich umdrehte, war der Gang hinter ihm leer. Aber das war es nicht allein. Mit der gleichen Sicherheit, mit der er wusste, dass es zuvor keine Abzweigung gegeben hatte, wusste er, dass der Korridor, den er zusammen mit Kelly entlang gegangen war, nicht annähernd so lang gewesen war, wie das Stück, das er mittlerweile zurückgerannt war. Er hätte die Treppe zurück zur Kommandobrücke der THUNDERCHILD schon längst erreichen müssen, und er hätte …
Mit einem leisen Aufschrei zuckte Norris zurück, als er sich gegen die Wand lehnte und rauen Untergrund an seinem Rücken spürte. Die Wand hinter ihm, ebenso wie die vor ihm, bestand nicht länger aus glattem Eisen, sondern aus nur grob bearbeitetem Gestein.
Aber das war unmöglich!
Es konnte kein Gestein an Bord dieses Schiffes geben. Es war ganz aus Eisen und Stahl erbaut, ganz sicher nicht ausgerechnet aus Stein. Und doch bestanden die Wände rechts und links von ihm ebenso wie Decke und Boden eindeutig aus grobem Felsgestein. Norris schloss für mehrere Sekunden die Augen, doch als er sie wieder öffnete, hatte sich der Anblick nicht verändert und als er mit einer Hand über die Wand strich, fühlte er auch unter seinen Fingerspitzen unebenen Fels.
Keuchend prallte Norris zurück. Was hier geschah, ging über seinen Verstand. Das konnte nicht die Realität sein, unmöglich. Es waren Wahnvorstellungen, nicht mehr als Einbildung, und wenn er auch nicht begriff, was sie auslöste, war es die einzige halbwegs glaubwürdige Erklärung, die ihm einfiel.
Möglicherweise würden die Illusionen verschwinden, wenn er wieder mit Kelly zusammen war. Bei seiner panischen Flucht war es Norris egal gewesen, was aus seinem Begleiter wurde, nun wünschte er sich, Kelly wäre noch bei ihm. Zu zweit würden sie eher eine Erklärung finden und selbst wenn nicht, so wäre dieses beängstigende Phänomen gemeinsam auf alle Fälle leichter zu ertragen, als allein.
Ein paar Mal rief Norris laut den Namen seines Begleiters. Seine Rufe hallten als verzerrtes, meckernd klingendes Echo von den Wänden wider und pflanzten sich dabei immer weiter fort, aber er bekam keine Antwort.
Während er gelaufen war, hatte er Kellys Schritte lange Zeit nur ein Stück hinter sich gehört, bis sie irgendwann verklungen waren. Allzu weit konnte sein Begleiter also nicht entfernt sein. Er brauchte nur den gleichen Weg in umgekehrter Richtung zu gehen und würde wieder auf Kelly stoßen.
Norris begann damit, den Korridor
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