Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
für sie. Sie sah weder besonders freundlich aus, noch gab sie sich irgendwelche Mühe, so zu wirken. »Sie sind einer von diesen Zeitungsschmierern, nehme ich an?« Noch bevor Howard widersprechen konnte, hob sie sowohl die Hand als auch die Stimme und fuhr in deutlich schärferem Ton fort: »Geben Sie sich gar keine Mühe, Mister Phillips-oder-wie-immer-Sie-auch-wirklich-heißen-mögen. In den letzten beiden Tagen haben sich Ihre Kollegen hier die Klinke in die Hand gegeben. Ich werde nichts mehr sagen, was ich nicht schon gesagt habe.«
»Verzeihung, Miss …?«
»Stone«, antwortete die Frau. »Madelaine Stone.«
»Miss Stone«, sagte Howard. »Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor. Ich bin nicht von der Zeitung. Und ich bin keineswegs hier, um Sie auszuhorchen oder Ihnen irgendwelche Informationen zu entlocken, die Sie nicht preisgeben wollen.«
»Wer sind Sie dann?«, fragte Miss Stone. »Und lügen Sie mich nicht an – ich habe zu lange für Dr. Treymour gearbeitet, um nicht sofort zu erkennen, wenn jemand die Unwahrheit sagt. Ihr Name ist nicht Phillips.«
»Das ist wahr«, gestand Howard. Er war ein wenig überrascht. Miss Stone schien zu jenen seltenen Menschen zu gehören, die Wahrheit und Lüge mit einem untrüglichen Instinkt sofort erkannten. Vielleicht hatte er sich in ihr getäuscht.
»Und wie ist er dann?«
»Das … tut nichts zur Sache«, antwortete Howard ausweichend. »Ich bin ein alter Bekannter von Dr. Treymour. Als ich heute Morgen in der Zeitung von seinem Verschwinden las, war ich aufs Höchste beunruhigt.«
»Ein alter Bekannter. So.« Stones Augen wurden schmal und Howard fragte sich, ob er vielleicht schon wieder einen Fehler gemacht hatte. Möglicherweise waren Treymours alte Bekannten nicht unbedingt automatisch auch Stones Freunde. »Und wieso weiß ich dann nichts von Ihnen? Ich arbeite seit zehn Jahren für Dr. Treymour, aber er hat niemals einen Mister Phillips erwähnt.«
»Es ist auch länger als zehn Jahre her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben«, antwortete Howard.
»Ich verstehe«, sagte Stone spöttisch. »Wenn ich Ihnen jetzt mitteile, dass ich schon seit zwanzig Jahren für ihn arbeite, dann werden Sie sich sicher hastig verbessern und mir erklären, dass es genau so lange her ist, seit sie sich das letzte Mal gesehen haben, wie?«
Howard seufzte. Unten auf der Straße war das Rollen von Rädern zu hören und das unwillig Wiehern eines Pferdes. »Hat er jemals von seiner Zeit in Paris gesprochen?«, fragte er.
»Paris?« Es gelang Stone nicht, ihre Überraschung zu verbergen, als Howard den Namen der Stadt aussprach. Sie sah plötzlich alarmiert aus. Und ein ganz kleines bisschen erschrocken.
»Ja. Wir haben uns dort das letzte Mal gesehen. Ich weiß nicht, wie viel Ihnen James … Dr. Treymour von seiner Zeit in Paris erzählt hat, aber -«
»Nicht viel«, unterbrach ihn Stone. Sie klang jetzt mehr als nervös. »Aber trotzdem schon mehr, als ich eigentlich wissen wollte. Ich … möchte nicht darüber reden.«
Das konnte Howard nur zu gut verstehen. Offensichtlich hatte Treymour seiner Haushälterin doch mehr erzählt, als sie zugab. Und auf jeden Fall mehr, als sie hatte hören wollen.
»Ich möchte auch nicht mit Ihnen reden«, fuhr sie fort. Das Rollen der Räder unten vor dem Haus hatte aufgehört und Howard hörte, wie ein Kutschenschlag aufgerissen und gleich darauf mit einem Knall wieder zugeschlagen wurde. Stone warf einen nervösen Blick zum Fenster.
»Das kann ich verstehen«, fuhr er fort. »Aber ich bitte Sie einfach, mir zu glauben, Miss Stone, dass es sehr wichtig ist, dass Sie mir gewisse … Fragen beantworten. Die Zeitungsmeldung war in dieser Hinsicht leider höchst unpräzise. Aber ich … muss wissen, wie Dr. Treymour verschwunden ist. In der Reportage war von höchst sonderbaren Umständen die Rede.«
»Wenn jemand aus einem verschlossenen Zimmer verschwindet, das keinen zweiten Ausgang und kein Fenster hat, dann ist das höchst sonderbar«, sagte Stone.
»Wie meinen Sie das?«
Stone sah wieder nervös zum Fenster hin. Sie schien auf etwas zu lauschen. »Ich will von alledem nichts wissen«, sagte sie. »Gehen Sie, Mister Phillips. Gehen Sie schnell. Ich habe einen Fehler gemacht.«
»Ich verstehe Sie durchaus«, sagte Howard geduldig. »Aber bitte, es ist wirklich sehr wichtig. Für mich. Und auch für andere. Was genau ist passiert?«
In Stones Augen blitzte es ungeduldig auf und eine Sekunde lang war Howard
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