Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
Bursche wie ein lebendes Geschoss durch die Luft und riss drei oder vier seiner Kameraden mit sich von den Füßen, als er zu Boden stürzte.
»Robert!«, brüllte Rowlf. »Lauf!«
Seine Aufforderung wäre nicht nötig gewesen. Im gleichen Moment, in dem sich die Männer dort drüben – und wie es aussah, alle zugleich! – auf Rowlf stürzten, stürmte ich los. Ich nahm keine Rücksicht mehr darüber, dass der Boden unter mir nur aus einer zwei Hand breiten Felsschiene bestand und ein einziger Fehltritt den sicheren Tod bedeutete, sondern spurtete los, so schnell ich nur konnte. Ein, zwei Mal fühlte ich, wie mein Fuß abglitt und ich die Balance zu verlieren drohte, aber mein eigener Schwung riss mich einfach weiter vorwärts. Ich brauchte kaum mehr als eine Sekunde, um den Rand der Grube zu erreichen und mich mit einem entschlossenen Hechtsprung endgültig in Sicherheit zu bringen.
Na ja, sagen wir: auf sicheren Boden. In Sicherheit war ich keineswegs.
Irgendwo vor mir tobte ein wütendes Handgemenge. Ich hörte Rowlf schreien und sah ein, zwei Körper durch die Luft wirbeln, fand aber keine Zeit, mir auch nur weiter Sorgen um ihn zu machen, geschweige denn, ihm zu helfen. Jemand packte mich und versuchte, mich in die Höhe zu reißen und mir gleichzeitig einen Hieb ins Gesicht zu versetzen. Ich half ihm noch ein wenig, indem ich meinerseits aufsprang, wich aber seinem Schlag aus und versetzte ihm meinerseits einen Kinnhaken, der ihn rückwärts taumeln ließ. Auch einen zweiten Angreifer vermochte ich auf diese Weise abzuschütteln, doch dann fiel ungefähr ein halbes Dutzend der Kerle gleichzeitig über mich her und dieser Übermacht war ich nicht gewachsen. Ich wurde niedergerungen und Schläge und Tritte prasselten auf mich ein; allerdings nur einen Moment lang. Dann erscholl eine zwar dünne, aber trotzdem äußerst befehlsgewohnt klingende Stimme:
»Aufhören! Ihr dürft ihn nicht töten!«
Die Männer hörten auf, auf mich einzudreschen, und zerrten mich unsanft auf die Füße. Für einen Moment drehte sich alles um mich. Ich war nicht schwer verletzt, aber ich hatte eine Menge übler Hiebe und Tritte abbekommen und spürte erst jetzt wirklich, dass ich am Rande einer Bewusstlosigkeit gewesen war. Aus einem reinen Reflex heraus stemmte ich mich noch immer gegen den Griff der Männer, die mich hielten, aber natürlich war es vollkommen sinnlos. Grob wurde ich auf den Jungen zugeschleift, dessen Stimme es gewesen war, die mir das Leben rettete (nun gut: es um einige wenige Momente verlängerte) und unsanft vor ihm auf die Knie gestoßen. Unsere Gesichter befanden sich jetzt fast in gleicher Höhe und ich war ihm so nahe, wie noch nie zuvor. Irgendetwas … Bekanntes ging von diesem Jungen aus. Ich hatte das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben. Nicht damals, in der Höhle unter dem Meer, sondern schon vorher. Lange, unendlich lange Zeit vorher. Aber das war …
Etwas wie ein unsichtbarer stählerner Besen fuhr durch mein Bewusstsein und wirbelte den Gedanken davon, so schnell und gründlich, dass nicht einmal die Erinnerung daran zurückblieb. Ich sah auf und blickte mich nach Rowlf um. Er schlug sich tapfer und wie ich erwartet hatte mit weitaus mehr Erfolg als ich. Trotzdem wurde auch er am Ende überwältigt und zu Boden gezerrt. Die Übermacht war einfach zu groß, selbst für ihn. Aber immerhin hatten wir es wenigstens versucht …
Meine Bewegung musste wohl das Missfallen eines der Männer hinter mir erregt haben, denn ich bekam einen Schlag in den Nacken, der mich nach vorne schleuderte. Im letzten Moment erst konnte ich den Sturz mit den Händen abfangen.
»Aufhören!«, befahl der Junge. »Schlag ihn nicht weiter. Wir brauchen ihn lebend.« Dann sah er mich an, lächelte böse und hob die Hand, um auf einen Punkt hinter mir zu deuten. »Er braucht ihn lebend.«
Ganz langsam drehte ich mich herum. Ich sah im Grunde nichts anderes als das, was ich erwartet hatte; zumindest das, was ich hätte erwarten müssen, nach alledem, was ich hier unten erlebt hatte. Trotzdem erschrak ich bis ins Innerste, als ich die rotbraune, mehr als mannslange Bestie sah, die sich kaum zwei Meter hinter mir langsam, mit pumpenden, eine nicht vorhandene Schwerfälligkeit vortäuschenden Bewegungen über den Rand der Grube schob.
Es war nicht der größte Ssaddit, den ich je gesehen hatte; nicht einmal annähernd. Ganz im Gegenteil – und doch erschreckte mich sein Anblick tausend Mal mehr.
Etwas an dieser
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