Hexer-Edition 23: Das Labyrinth von London
Blickduell, das ich sowieso nur verlieren konnte, auf und wandte mich wieder der Kreuzung zu.
Ich blieb dabei, dass es sie vorhin noch nicht gegeben hatte, aber was nutzte mir dieses Wissen schon? Jetzt war sie da, basta. Ihr Vorhandensein zu leugnen, war ungefähr ebenso sinnvoll, als hätte ich mit dem Fuß aufgestampft. Statt weiter über eine Erklärung für das Unerklärbare nachzudenken, trat ich zögernd auf die Kreuzung hinaus und sah mich in alle vier Richtungen um.
Nicht, dass es viel zu sehen gegeben hätte. Der kleine Bereich der Wirklichkeit, der meinen Sinnen zugänglich blieb, war in allen vier Richtungen gleich. Und vermutlich war es ohnehin egal, wohin ich mich wandte. Man konnte sich schließlich nur einmal verlaufen. Also marschierte ich auf gut Glück los.
Korrekt hätte es wahrscheinlich heißen müssen: auf gut Pech. Ich war gerade fünf oder sechs Schritte weit gekommen, da gabelte sich der Gang erneut. Und noch einmal. Und dann wieder.
Nach der zehnten Kreuzung hörte ich auf, sie zu zählen. Und nach der ich-weiß-nicht-mehr-wievielten hörte ich auch auf zu gehen.
Erschöpft ließ ich mich gegen die Wand sinken, stellte die Lampe ab und setzte mich einen Augenblick später auf den feuchten Boden. Mir war kalt. Ich fühlte mich unendlich müde und in meine Furcht hatte sich etwas wie resignierender Trotz gemischt – wenn es sowieso egal war, wohin und wie lange ich lief, dann konnte ich ebenso gut auch hier sitzen bleiben und darauf warten, was geschah.
Dieses Labyrinth war nicht auf natürlichem Wege entstanden, sondern erschaffen worden, von irgendjemandem oder irgendetwas. Und früher oder später würde dieser Jemand schon kommen und nachsehen, ob sich eine Maus in seiner Falle gefangen hatte.
Etwas berührte meine Hand. Ich öffnete die Augen, wandte müde den Kopf und erblickte den Kater, der sich neben mich gesetzt hatte und mich mit der Schnauze anstieß. Ich hob die Hand, kraulte das weiche Fell zwischen seinen Ohren und wurde mit einem zufriedenen Schnurren belohnt; ein Laut, der eine eigenartig beruhigende Wirkung auf mich ausübte. Ich spürte, wie sich ein Lächeln auf meine Lippen stahl, fast gegen meinen Willen.
»Tja, mein Freund«, sagte ich. »Ich schätze, jetzt bist du an der Reihe. Ich bin dir bis hierhin gefolgt – aber nun weiß ich nicht mehr weiter. Wieso hast du mich hierher gebracht?«
Natürlich antwortete der Kater nicht, aber er hörte auf zu schnurren, und in seinem Blick erschien etwas Vorwurfsvolles und plötzlich begriff ich den Fehler in meinen Worten; fast, als hätte ich den Gedanken erst laut aussprechen müssen.
Ich war dem Kater nicht hierher gefolgt. Ganz im Gegenteil, er war mir nachgekommen. Und um das Maß voll zu machen, folgte diesem ersten Begreifen ein zweites; und zwar so heftig und mit solchem Nachdruck, dass ich mich im nächsten Moment am liebsten selbst geohrfeigt hätte.
Meine Vorwürfe waren ziemlich ungerecht. Konkret hatte ich mich erst ab dem Moment verirrt, in dem ich aufgehört hatte, dem Kater zu folgen!
»Ist es das, was du mir sagen willst?«, fragte ich. »Kennst du den Weg hier heraus?« Voller plötzlicher Erregung – und daraus resultierender neuer Kraft – sprang ich hoch und nahm meine Lampe wieder auf. Der Kater erhob sich ebenfalls und lief ein Stück in die Richtung zurück, aus der wir gekommen waren.
Um es kurz zu machen – es ging den ganzen Weg zurück. Ich erkannte keine einzige Abzweigung wieder und da ich nicht wusste, wie weit ich in dieses unheimliche Labyrinth eingedrungen war, konnte ich auch nicht sagen, ob der Rückweg tatsächlich ebenso lang war – aber er war sehr lang und endlich fand ich mich in dem gleichen abschüssigen Gang wieder, in dem ich das erste Mal kehrtgemacht hatte.
Ich war noch erschöpfter, noch müder und irgendwie hatte ich noch mehr Angst, aber ich beging nicht den Fehler, ein zweites Mal umkehren und auf eigene Faust den Rückweg finden zu wollen. Wenigstens eins hatte ich mittlerweile begriffen: Im gleichen Moment, in dem ich die Treppe betreten hatte, hatte ich mich meinem vierbeinigen Führer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ich konnte nur hoffen, dass er tatsächlich das war, was ich glaubte.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dem Kater noch folgte – es mögen Stunden gewesen sein, ebenso gut aber auch nur noch Augenblicke. Aber plötzlich hörte ich wieder den Schrei, der mich ursprünglich hier heruntergelockt hatte.
Sonderbarerweise erschien er mir
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