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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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aktuellen »Cleverbot« (dem mit Algorithmen gefütterten virtuellen Gesprächspartner), vom Superrechner Watson bis zur genialen Schachspieler-KI Deep Blue, von der Personalisierung sozialer Netzwerke bis zu den digitalen Kommunikationsmitteln als Beförderern des »Arabischen Frühlings«.
    Im Memorandum des Algorithmus liest sich das dann so: »Wir milderten die menschliche Unberechenbarkeit, in dem wir sie in unser deterministisches Modell einpflegten … Es geht nicht um ›Moral‹, ›Emotion‹ oder ›Ermessen‹. Von nun an gilt nur noch die Logik unseres Modells. Wir sind in der Lage, alles letztgültig zu verarbeiten und zu entscheiden. Also tun wir das.«
    In der Erinnerung des »letzten Menschen« gibt es einen Punkt, an dem die quantitative Einflussnahme der Technik auf menschliches Leben in eine qualitativ neue Stufe evolutionärer Entwicklung umgeschlagen ist: »Wir sind an diesem Punkt zu unwissenden Helfern unserer technikgestützten Vollendung geworden.«
    In der Science Fiction ist dieses Konzept des »Umschlagspunkts«, das Vernor Vinge als »Singularität« bezeichnet, längst Teil des motivischen Kanons, auf dem Romane wie die von Cory Doctorow
oder Charles Stross implizit oder auch explizit aufbauen. Das Verschmelzen von Mensch und Maschinenintelligenz, das Uploading von Gehirnen und genetische Modifikationen haben in der Singularität Selbstbild und Zivilisation der Spezies fundamental verändert. In Stross’ Roman »Accelerando« – der keineswegs eine Dystopie, sondern eher ein spielerisches Gedankenexperiment mit den Möglichkeiten der Singularität ist – haben die Rechenpotenziale der Prozessoren ein kaum noch messbares Vielfaches menschlicher Denkkapazität erreicht. Das »Menschsein« zerfällt dabei in einander überlappende Simulationen humaner Existenz, die durchaus ihre bizarren und komischen Aspekte haben.
    Meckel dagegen hält sich strikt, nüchtern und geradlinig an Fakten gegenwärtiger Entwicklungen und deren Extrapolation. Ihre Projektionen sind keineswegs weit entfernt von Aussagen aus der Forschung über komplexe Systeme wie die Professor Klaus Mainzers, wenn er die menschliche Gesellschaft als »vernetzten Superorganismus« betrachtet und eine neue »kollektive Intelligenz« auf Grundlage der digitalen Evolution der Netzwelten prognostiziert (siehe dazu auch das Interview von Uwe Neuhold mit Klaus Mainzer in diesem SCIENCE FICTION JAHR).
    »Next« ist eher Bestandsaufnahme als Handlung – ein als Roman verkleidetes kluges Sachbuch, das wegen der Fülle zusammengetragenen Wissens und vielfacher Variationen ein und desselben Themas ziemlich zähe Lektüre ist. Auch wenn das Buch viele schöne und einprägsame Sätze enthält, etwa wenn der letzte Mensch das Fehlen der Imagination in dieser neuen, entkörperlichten Welt reflektiert: »Wir haben unsere Vorstellungskraft verloren, weil wir etwas anderes gewonnen haben. Das umfassende Erinnern und Wissen. Wann immer ich etwas denke, bin ich immer mit allen Informationen vernetzt, mit allen Texten, Tönen, Bildern, emotionalen Updates, die sofort eingehen in die endgültige Berechnung des Gedachten. Und das Ergebnis ist immer klar und eindeutig. Ich bin nicht einmal mehr in der Lage, mir vorzustellen, wie es wäre, mir etwas vorstellen zu können. Glaube ich.«

    Die philosophische Frage nach dem, was das Menschsein unter den Bedingungen der »Mathematisierung der Welt«, dem Ausschluss des Zufalls, dem »digitalen Kollaps« der alten Zivilisation
und dem »ausgehandelten Mittelmaß« eigentlich noch ausmacht, ist das eigentliche Thema des Buches. Dieser Diskurs ist ja keineswegs neu, nur fällt Meckels Beitrag dazu besonders detailliert und lang (und stellenweise auch langatmig) aus.
     
    Bereits vor mehr als vierzig Jahren schrieb Elias Canetti: »Eine peinigende Vorstellung: daß von einem bestimmten Zeitpunkt ab die Geschichte nicht mehr wirklich war. Ohne es zu merken, hätte die Menschheit insgesamt die Wirklichkeit plötzlich verlassen; alles, was seitdem geschehen sei, wäre gar nicht wahr: Wir könnten es aber nicht merken. Unsere Aufgabe sei es nun, diesen Punkt zu finden, und so lange wir ihn nicht hätten, müßten wir in der jetzigen Zerstörung verharren.« (aus »Die Provinz des Menschen«, Aufzeichnungen 1942). Jean Baudrillard hielt 1990 fest: »Vor allem die modernen Medien haben jedem Ereignis, jeder Erzählung und jedem Bild einen Simulationsraum mit grenzenloser Flugbahn eröffnet. Jedes Faktum,

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