Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
etwas Relevantes über die Trägerin oder gar die Gesellschaft aussagt). Auch im weiteren Textverlauf tauchen Anfängerfehler auf: So wird häufig auf die Wendung »es scheint« in verschiedenen Varianten (»es schien ihm«, »wie es schien« etc.) zurückgegriffen. Dies hemmt nicht nur den Lesefluss, sondern schwächt auch die Schilderung ab, denn es nimmt gewissermaßen die getroffene Aussage zurück (es »scheint« ja nur, als ob), anstatt dem Leser eine klare, realistische und vor allem mitreißende Szene zu bieten. Man merkt die Jugend und literarische Unsicherheit des Autors auch bestimmten Aussagen des Protagonisten an, der sich – ganz wie junge Menschen dies oft tun – einerseits in sich zurückzieht, andererseits damit unzufrieden ist; gleichzeitig große Kräfte hat (und auch haben will), aber Angst hat, sie einzusetzen; der sich für hochintelligent hält, jedoch unter großem (Welt-)Schmerz leidet; gerne verstanden werden möchte, aber dennoch bei der geringsten Gelegenheit aufbraust und die Zähne fletscht wie ein in die Enge getriebenes Tier. Keine Frage, dass die Regierungsbeamtin in dieser Erzählung genauso scheitern muss wie eine ihren Sohn mit Fragen löchernde Mutter.
Stilistisch interessanter sind die im weiteren Verlauf der Erzählung eingestreuten Elemente, die ich »europäisch« nennen möchte: etwa umrahmte philosophische Zitate, deren Urheber aus dem Text heraus nicht immer klar erkennbar ist (etwa »Die Furcht vor dem Werdenden ist der nüchterne Weg zum Seienden«). Oder Bezeichnungen, die an große Autoren der osteuropäischen Science Fiction wie Stanisław Lem erinnern, wenn ein künstliches Wesen nicht Cyborg oder Androide genannt wird, sondern »Robotiček« – das erzeugt Verfremdung, Überraschung und eine ungewisse Spannung, da es Zukunft mit Vergangenheit verbindet.
Am gelungensten finde ich die gleich nachfolgende Geschichte »Das perfekte System«. Sie beschreibt die Fertigstellung und Eröffnung eines absolut terrorsicheren Bunkers für die Bewohner der Concordia in einem humoristischen, zwischen Kafka und den Strugatzki-Brüdern angesiedelten Stil. Je genauer auf die perfekte Technologie des Bunkers, auf seine unglaublich durchdachte Struktur und die zu erwartenden Sicherheitsvorteile eingegangen
wird, desto größer fällt am Ende die banale und gerade deshalb so perfide Überraschung aus, die sich Moedriach ausgedacht hat. Dieser Text könnte, etwas gestrafft und geschliffen, als Kurzgeschichte so manchen Literaturpreis gewinnen.
Alles in allem ist »Astrogata Concordia« das Werk eines Autors, der seinen Stil zwar noch nicht gefunden hat bzw. ihn noch nicht durchhalten kann, der aber durchaus Potenzial hat und Interesse an seiner weiteren Arbeit weckt
Uwe Neuhold
JOHN NIVEN
GOTT BEWAHRE (THE SECOND COMING)
Roman · Aus dem Englischen von Stephan Glietsch und Jörn Ingwersen · Wilhelm Heyne Verlag, München 2011 · 400 Seiten · € 19,99
Eine Satire mit jeder Menge Frechheiten und ernstem Hintergrund, die wohl wegen der zahlreichen Flüche und einiger wirklich grenzwertiger Szenen in der Reihe Heyne Hardcore gelandet ist.
Als Gott aus dem Urlaub zurückkommt (der ein paar Hundert Jahre gedauert hat), ist er stinksauer darüber, was die Menschen mittlerweile unten auf der Erde gemacht haben, reaktiviert seinen Sohn und schickt ihn ein zweites Mal auf die Erde, um die Frohe Botschaft zu verkünden: Seid lieb! (Moses hat es mit seinen Zehn Geboten streberhaft übertrieben, eines reicht völlig.) Jesus findet rasch eine ausreichende Zahl Jünger, landet in einer Casting-Show, mischt das Fernsehen auf und gründet eine Kommune, derweil von allen Seiten misstrauisch beäugt. Militärische Idiotie und das hervorragende amerikanische Justizsystem verfrachten ihn auf die Pritsche, auf der den Todeskandidaten per Giftspritze heimgeleuchtet wird. Und natürlich verschwindet der Leichnam auf unerklärliche Weise …
So weit, so alles schon mal dagewesen. John Niven nimmt es mit dem »Second Coming« ziemlich genau. Was sein Buch zu einer mitreißenden Satire macht, sind die Dialoge, in denen alles sein Fett wegbekommt, was den Autor an der amerikanischen Gesellschaft stört, und die en passant die kruden Argumentationen all der selbsternannten Gottesvertreter ad absurdum führen. Schön
zu sehen, wie immer wieder genau jene Leute, die laut »Blasphemie!« rufen, als diejenigen entlarvt werden, die Gottes Botschaft nicht verstehen oder, noch schlimmer, nicht
Weitere Kostenlose Bücher