Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Erwähnung gewürdigt.
Störklänge? Klangterror? Gegenschall? Anrufbeantworter als Medium und Handlungsträger zugleich? Wenn das kein Stoff für ein Hörspiel ist! Das sagte sich auch Katrin Zipse, Redakteurin des Sendeplatzes »Dschungel« beim Südwestrundfunk Baden-Baden, und lud den Autor zu einer Funkbearbeitung ein. In einem Studio des Berliner RBB führte Helmut Mittermaier selbst Regie und besorgte
auch Komposition und Klanggestaltung. Die Funkfassung folgt im Wesentlichen dem Original, enthält aber einige Umstellungen und zusätzliche verdeutlichende Passagen. Alle Geräusche, Töne und automatischen Ansagen aber stammen von den Original-Anrufbeantwortern, die der Autor auf Flohmärkten ergattert hatte. Die Zahl der Partisanen und somit auch die der Anrufbeantworter wurde von fünf auf vier reduziert, eine Sprecherin wurde ausgewechselt, die übrigen waren dieselben wie bei der Installation.
Mittermaiers Arbeit ist ein Hörspiel par excellence. Er hat damit ein klassisches literarisches Genre, den Briefroman, aufgegriffen und ebenso kreativ wie konsequent in ein modernes Umfeld transferiert. Solch souveräner Umgang mit dem Medium ist leider nicht mehr selbstverständlich. Nicht selten glauben heutige Autoren, schon ein Hörspiel geschaffen zu haben, wenn sie die Geschichte – original oder adaptiert – mit wechselnder Raumakustik von einem Erzähler rezitieren lassen und mit ein paar Klängen und wörtlichen Reden garnieren. Man kann möglichst allen jüngeren Nachwuchsautoren nur wünschen, sich dieses Stück anzuhören und zum Vorbild zu nehmen. Dennoch: Obwohl wie geschaffen fürs Radio, könnte, wer Installation und Hörspiel kennt, ein wenig das räumliche Erlebnis vermissen, denn erst die sichtbare Präsenz der Apparate macht die Illusion perfekt, Mitwisser einer Abhöraktion zu sein.
Raum- und Klanginstallation mit Publikum
»Benötigen Sie Hilfe?«, fragt einer der Anrufbeantworter am Ende des Hörspiels – nicht ohne Ironie, wie es scheint: »Dann drücken Sie die 8.«
Horst G. Tröster
GÜNTER KUNERT
DER GONDOLIERE VON ITZEHOE
Komposition: Michael Hinze · Regie: Walter Niklaus · Mitteldeutscher Rundfunk 2010
Vor vielen, vielen Jahren startete ein SF-Magazin eine Umfrage unter SF-Autoren und bat sie um ihre persönliche Definition von »Science Fiction«. Die kürzeste – und trockenste – Antwort kam, nach meiner Erinnerung, von Brian Aldiss: »SF ist alles, was sich als SF verkauft.« Der Gondoliere von Itzehoe , ein vom produzierenden MDR als »Science-Fiction« bezeichnetes Kriminalhörspiel, ist demnach eindeutig Science Fiction.
In der eigentlichen Handlung des von Walter Niklaus in (mir) gewohnter Kompetenz in Szene gesetzten Stücks findet man ja nicht so viele genretypische Elemente, aber zumindest »die Umgebung« stimmt: Die Polkappen sind abgeschmolzen, weltweit sind viele Küstengebiete jetzt Meeresboden, Holland zum Beispiel gibt es überhaupt nicht mehr, weswegen die vielen Ausländer in Kunerts Stück auch Holländer sind, sie haben ja keinen eigenen Staat mehr. In Itzehoe selbst gibt es keine Straßen mehr, sondern Kanäle, einige Leute haben sich sogar echte Gondeln bauen lassen. Dorthin begibt sich Karl Hitzack (ausgezeichnet gesprochen von Klaus Manchen, man nimmt ihm den zunehmend von den Umständen überforderten Alten in jedem Augenblick ab) zur Hochzeit seines Sohnes.
Diese Heirat zweier Männer hat mich beschäftigt, weil sie so überhaupt keinen Bezug zur Handlung hat (es geht, ganz kurz,
um allerhand Schmuggel und Schwarzgeschäfte unter dem Deckmantel der Trinkwasserversorgung diverser neuer Inseln, um insgesamt relativ mafiose Strukturen innerhalb einer offenbar reinen Männergesellschaft). Diese Heirat zweier Männer hat mich also beschäftigt, und da niemand alles lesen kann, was der überaus fleißige Heinrich-Mann-, Johannes-R.-Becher-, Georg-Mackensen-, Heinrich-Heine-, Friedrich-Hölderlin-, Ernst-Robert-Curtius-, Hans-Sahl- und (alles unter anderem!) Georg-Trakl-Preisträger und vielfache Dr. h. c. geschrieben hat, habe ich herumrecherchiert (manche Dinge bleiben auch auf alten Festplatten hängen, so oft kann gar nicht drübergeschrieben und -gelöscht werden, und DER SPIEGEL gehörte in den Sechzigern zur Standard-Lektüre, da war er ja auch noch kritisch), und da gibt es nun also einen SPIEGEL, der 1969 auf den Fall des § 175 spekulierte (und das breit im Titel kundtat): »Das Gesetz fällt – bleibt die Ächtung?« (das Gesetz
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