Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Ökoterrorismus geschildert, atmosphärisch, ironisch, aber ohne die ökologische Idee als solche zu diffamieren.
Unlängst wurde ich in einer Gartenwirtschaft unfreiwillig Zeuge einer Unterhaltung, bei der einer auf eine Sendung im Kommerzfernsehen
zu sprechen kam. Dort sei davon die Rede gewesen, dass es einen Klimawandel gar nicht gebe. Die Erleichterung, dass man ja nun seine Gewohnheiten nicht zu ändern brauche, war seinen Gesprächspartnern anzuhören. Was hätten sie erst gesagt, wäre ihnen dieses Hörstück zu Ohren gekommen! Ja, was wäre das für ein Malheur, wenn die Menschen wenigstens ein bisschen Energie sparen, Ressourcen schonen und Lebensräume erhalten würden, selbst wenn womöglich nach Jahren oder Jahrzehnten herauskäme, dass der Klimawandel ausgeblieben ist! Nicht auszudenken!
Aber Rette sich, wer kann enttäuscht noch in anderer Hinsicht. Chris Ohnemus lässt die Geschichte von einem der Betroffnen in der ersten Person Singular erzählen. Der Erzählerpart ist so ausladend, dass man eigentlich nur noch rudimentär von einem Hörspiel sprechen kann, weshalb ich die Bezeichnung »Hörstück« vorziehe. Dieses Verfahren hat ebenso belanglose wie unbeholfene Szenen zur Folge. Zum Beispiel:
Erzähler: »… schmiss seinen Einkaufskorb … vor die Füße.« – Geräusch: aufprallender Einkaufskorb.
Erzähler: »… er nach hinten auf den Bürgersteig fiel.« – Geräusch: aufprallender Körper.
Erzähler: »… dann flog Karls Faust.« – Geräusch: aufprallende Faust.
Über weite Strecken ist das Stück wie eine Lesung gestaltet, in der die wörtlichen Reden von anderen Sprechern übernommen werden. Für eine solche dramaturgische Konstruktion ergibt sich vom Plot her jedoch kein zwingender Grund, sodass mir einmal mehr Eva Maria Mudrich in den Sinn kommt, die das Schwinden der Fertigkeit beklagt hat, eine Geschichte allein aus Dialogen zu entwickeln.
Horst G. Tröster
INGRID MARSCHANG
GESCHICHTEN AUS DER GROSSDEUTSCHEN METROPULLE
Regie: Andrea Getto · Norddeutscher Rundfunk 2011
In den 18. Stock eines leerstehenden, dem Verfall überlassenen Hochhauses in Berlin-Marzahn zieht der Undercover-Detektiv Johann Georg Marlandt. Die Wohnung ist nur mit dem Nötigsten ausgestattet: eine Matratze, ein Tisch, ein Pferdekalender. Auf der Wand klebt eine »Karotten-Tapete«. Eine Sicherheitsfirma hat Marlandt hierherbeordert, damit er im näheren Umfeld die Privatsphäre von Rentnern und insbesondere von Sozialhilfeempfängern observiert. Logis und Getränke sind frei. Das Sozialamt (!) hat ihm ein 10 000 Euro teures Fernrohr überlassen. Was bei Orwell an Observation in jeder Wohnung schon per Bildschirm möglich war, das geschieht hier noch mit altertümlichen Mitteln, wenn auch mit einem superteuren resp. hochaktuellen Fernrohr!
Johann Georg Marlandt, Deckname »Erdhörnchen« (schöner Kontrast: Erdhörnchen wohnt im Hochhaus), abgebrochener Student, knapp bei Kasse und alkoholfreudig (wie viele in diesem Hörspiel), Liebhaber von Beaujolais, erinnert flüchtig an Chandlers Philip Marlowe (die Namensverwandtschaft Marlandt – Marlowe hier sicher nicht zufällig). Marlandt erweist sich im Laufe des Hörspiels jedoch als Anti-Typus eines Undercover-Detektivs und wird schließlich selbst zum Loser. Der Chef der Firma für »Sicherheit und sozialen Frieden«, die Marlandt eingestellt hat, heißt mit Decknamen »Adler« – sicher auch nicht zufällig, entspricht der Name doch dem Wappentier der Bundesrepublik Deutschland. Und die Bedeutung des Adlers als Greifvogel ist hier gewiss nicht abwegig, denn der Staat will sich die Menschen »greifen«, angeblich die, die »Sozialmissbrauch« betreiben.
Nun kommt der betagte Literatur-Professor Walter Jankowitz ins Spiel, in dessen Wohnung – für den Professor völlig unerwartet – Marlandt eingezogen ist. »Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen …«, rezitiert der Professor Rilkes Gedicht »Schlußstück« (was Rilke aber gar nicht vor seinem eigenen Schluss geschrieben hat,
sondern mitten im Leben). »Der Tod ist groß …« – das steht hier näher am Ende des Lebens des Professors. Der aber will noch gar nicht weichen und ist gerade geflohen … Vor wem? Das entpuppt sich erst ganz zum Schluss des Hörspiels. Doch bis dahin …
… erleben wir ein skurriles Hörspiel, das vor Absurditäten nur so strotzt. Da transportiert ein Querschnittsgelähmter mit seinem 42-PS-Elektrorollstuhl den Undercover-Detektiv bei dessen
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