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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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Kurzhaarfrisur schwer zu bändigen. Während er die Geräte aufbaut, eine Spielkonsole an den Fernseher anschließt und eine Kinect-Kamera installiert, fährt er sich immer wieder durch die Haare, versucht, sie zu ordnen. Als er das Spiel einschaltet, explodiert der Bildschirm in Farben und Formen, dazu läuft Musik, euphorisierend und betörend. Mizuguchi steht konzentriert vor den Geräten, hebt einen Arm, klatscht in die Hände oder winkt. Das Spiel reagiert auf seine Bewegungen, lässt Blüten sprießen, Wale aus der Tiefe des Ozeans steigen, Tore öffnen sich. Es ist atemberaubend. Mizuguchi wechselt die Level, zeigt neue Welten, murmelt, dass er das eigentlich noch nicht zeigen dürfte, macht es trotzdem. Er ist eins mit seinem Spiel, hat sich in seinem Werk verloren. Als er aufhört, sieht er aus, als würde er aufwachen. Wieder ist er seiner Vision ein Stück näher gekommen, seinem Ziel, ein Werk zu schaffen, das alle Sinne gleichzeitig anspricht. Er hat lange genug dafür gearbeitet.
    Tetsuya Mizuguchi wird 1965 in Otaru geboren, einer Stadt auf Hokkaido im Norden Japans. Mit Ende seiner Schulzeit geht er nach Tokio und studiert dort Kunst oder genauer: Medienästhetik.
Hier lernt er die Grundlagen dessen, was seine Arbeit später auszeichnen wird: die Verbindung verschiedener Medien. Bild und Klang werden bei ihm zu einem interaktiven Gesamtkunstwerk. Doch zuerst beschäftigt er sich mit etwas ganz anderem, er entwickelt Autorennspiele. 1993 fängt Mizuguchi bei Sega an, einem der größten japanischen Hersteller von Video- und Automatenspielen, lange Zeit der einzige ernst zu nehmende Konkurrent von Nintendo. Er entwirft Megalopolis , eine Art interaktive Achterbahnfahrt durch eine Großstadt. Geplant für einen Automaten, sollte das Spiel mit einem speziellen Sitz ausgestattet werden, der Geschwindigkeit und Höhen simulieren kann. Nach Einstellung des Projektes übernimmt Mizuguchi das 1994 erschienene Sega Rally , eine Rallyesimulation für Spielhalle und -konsole, die schnell legendär wird. Für damalige Verhältnisse bietet Sega Rally Unerhörtes: Je nach Untergrund fährt sich das Auto unterschiedlich. Auf Asphalt hat es guten Halt, auf Kies kommt es schnell ins Rutschen, im Matsch geht es nur schwerfällig voran. Mizuguchi entwickelt weitere Rallyespiele, reist um die Welt, um mit Autoherstellern über die Übernahme ihrer Fahrzeuge in Sega-Spiele zu verhandeln, und hat dabei durch Zufall ein Erweckungserlebnis.
    »1998 war ich in Stuttgart zu Verhandlungen«, erzählt er. »Von dort aus bin ich nach Zürich gereist. Ich wollte wissen, was es mit der Street Parade auf sich hat.« Die Street Parade ist die Zürcher Antwort auf die Berliner Loveparade, eine der größten Techno-Partys der Welt. Hundertausende von Menschen treffen sich, ziehen durch die Stadt, hören Musik und tanzen bis zum Morgengrauen. Mizuguchi ist neugierig und verliert sich bald darauf in der Musik. »Ich habe durchgefeiert, getanzt, war eins mit der Musik«, erzählt er. Kurz leuchten seine dunklen Augen auf, über ein Jahrzehnt nach seinem Erlebnis. Die Lichter, die Musik, die Bilder, die an die Wände der Clubs geworfen werden. Es ist genau seine Vision, die Verbindung von Medien, die umfassende Stimulation der Sinne. Synästhesie nennt er das. Irgendwann im Morgengrauen stellt er sich dann eine Frage: Was würde Kandinsky heute machen? Wenn er Computer zur Verfügung hätte, wenn er abstrakten Techno hören könnte, wenn er daraus ein Spiel basteln würde? Aus dieser
Frage wird Rez geboren, welches die Vorstellung von dem, was Videospiele können, verändern soll.
    Wenn Mizuguchi erzählt, muss man ihn einfach bewundern. Man kann nicht anders. Man muss lernen, seine liebenswürdigen Gesten, seinen Enthusiasmus zu schätzen und sich blöde Fragen über Drogen zu klemmen. Dazu hat er in Interviews eigentlich nie etwas gesagt, außer vielleicht vielsagend zu grinsen. Er ist ein Künstler, Videospiele sind seine Kunstform. Und das kann er in den Jahren nach seinem Erweckungserlebnis ausleben. Er wird zum Leiter von United Game Artists, einer Entwicklungsabteilung von Sega, spezialisiert auf Titel für die gerade erschienene Dreamcast-Konsole. Diese, so glaubt Sega, würde sich mit einzigartigen Spielen besser verkaufen. Auch wenn diese Hoffnung trügt, die Produktion der Dreamcast bald eingestellt wird und Sega als Hersteller von Spielekonsolen vom Markt verschwindet – die United Game Artists entwickeln in den knapp vier

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