Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Qualitätsstufen. Auch die aktuelle Entwicklung des Buchgeschäfts verlor er nicht aus den Augen: Seine Science-Fiction-Klassiker, die zuletzt als Paperbacks neu veröffentlicht wurden, bereitete er nun für eine Neuauflage als E-Book vor.
Seine letzten Auftritte im Science-Fiction-Umfeld führten den Autor erneut zurück zur Perry Rhodan -Serie, und auf dem Perry Rhodan -WeltCon 2011 in Mannheim wurde er geradezu gefeiert. Hinterher beklagte er sich, dass er »über fünf Stunden ununterbrochen« Autogramme gegeben habe;
das Klagen war allerdings stets mit einem Unterton von Stolz vermengt. Im Januar hielt er einen launigen Vortrag beim Perry Rhodan -Stammtisch seiner Heimatstadt. Niemand der Anwesenden, die sich prächtig amüsierten, hätte sich zu diesem Zeitpunkt träumen lassen, dass es ihre letzte Begegnung mit dem Autor sein sollte.
Hanns Kneifel wollte noch viel schaffen und schreiben, doch dazu ist es nicht gekommen. Viele der angedachten Projekte werden nun nie verwirklicht werden – Hanns Kneifel ist tot. Einer der vielseitigsten Weltenschöpfer der deutschsprachigen Science Fiction hat nach über fünfzig Jahren aufgehört, sich fremde Welten auszudenken.
Klaus N. Frick ist Chefredakteur der Perry Rhodan -Serie beim Pabel-Moewig Verlag.
1. System und Vision
Wenn Niklas Luhmann, zweifellos der bedeutendste deutsch schreibende Gesellschaftstheoretiker nach 1945, gerade mal nicht weiterkam mit der Arbeit, dann warf er sich eben in eine andere Arbeit. Der Grundriss seiner Theorie sozialer Systeme war (unter dem No-Nonsense -Titel »Soziale Systeme«) zuerst erschienen; die umfangreichen Untersuchungen einzelner gesellschaftlicher Subsysteme, diverse Aufsätze zur soziologischen Aufklärung, Arbeiten über die historische Veränderlichkeit der entsprechenden Semantiken und schließlich das Dach der ganzen Konstruktion, die umfassende und abschließende Studie über »Die Gesellschaft der Gesellschaft«, konnte er nach dieser Fundamentlegung nach und nach parallel bauen.
Wenn er also gerade mal wieder in »Das Recht der Gesellschaft« steckengeblieben war, widmete er sich eben zwei Wochen lang der »Wissenschaft der Gesellschaft« oder der »Kunst der Gesellschaft«. Dass diese Arbeitsweise so vernünftig war wie der Plan des Ganzen, weil dadurch Blockaden, unproduktives Herumgrübeln, Staus und Umleitungen
vermieden werden konnten, lässt sich nicht bestreiten.
Luhmanns soziale Welt ist, wie die idealistische Welt Hegels, absolut vernünftig. Vom Allgemeinen zum Besonderen, vom ausdifferenzierten Subsystem (Kunst, Recht, Sport) zur Systematik des eigenen Denkens, vom durch die Feldforschung gesicherten Datenbestand zur großen Deutung und zurück springt man in einer klaren Welt wie dieser und mit einem klaren Kopf wie seinem ohne Mühe. Erstaunlich also, dass ein vergleichbares Verhalten, eine sehr ähnliche Arbeitsorganisation und eine parallele Vermittlung zwischen dem Konkreten und der Totalität, die es speist, auch bei jemandem zu finden ist, den sowohl seine Mitmenschen wie die Nachwelt alles andere als vernünftig fanden: dem großen Irren Philip K. Dick.
Wie man seit einiger Zeit weiß, hat der nämlich seine letzten Lebensjahre damit verbracht, zwischen verschiedenen Romanen und Erzählungen einerseits, einem gigantischen Unternehmen zur Deutung eines Erlebnisses im Bereich außersinnlicher Wahrnehmung andererseits hin und her zu springen. Schaut man sich das genauer an, gerät man sofort in Perspektivschwierigkeiten: Sind die Erzähltexte ästhetisches Material, das er, unter dem Eindruck eines visionären Schocks, versammelt hat, um es in einer vieltausendseitigen »Exegesis«, wie er das nannte, von allen Seiten zu beleuchten? Oder muss man umgekehrt diese »Exegesis« als Materialschutthaufen aus Beschreibungen der esoterischgnostischen Überwältigungserfahrung und der bei dessen Betrachtung mal zwanglos, mal zwanghaft auftretenden Assoziationen sehen, während die literarischen Werke, vor allem die VALIS-Trilogie, den Versuch darstellen, dieses Material zu zähmen, zu kontextualisieren – wenn man so sagen will: zu deuten?
2. Es geht um die Welt, nicht bloß um deren Erkennbarkeit
Im Februar und im März 1974 erlebte Dick eine Reihe von ekstatisch-gnostischen Zuständen, die ihn mit farbigen, abstrakten Bildern und anderen, eher synästhetischen Mustern überfluteten. Das Ganze erfuhr er als codierte Informationsflut von ungeheurer Packungsdichte, die er zumindest teilweise
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