Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
nominiert.
Klingt ganz so, als wäre ein Gespräch mit diesem Autor in einem Science-Fiction-Jahrbuch fehl am Platz. Tatsächlich aber lassen sich Steinfests Werke beinahe umstandslos zur phantastischen Literatur rechnen, einem Label, dem sich auch die Science Fiction zuordnen lässt, jedenfalls wenn man unter Science Fiction nicht nur eine ins Epische spielende Maschinenbauingenieursprognose fürs technisch demnächst Machbare versteht.
Maschinen sind nicht Steinfests Ding; Steinfest ist Humanist, Liebhaber der Menschen wie der Menschenwelt und ihrer Phänomene. Allenfalls interessieren ihn bestimmte Schnittmengen zur Natur, das domestizierte Tier etwa. Während die technisch orientierte Phantastik gerne teleskopisch arbeitet, das weit Entfernte heranrückt (und sei es durch eine Invasion von der Wega), während die teleskopische Prosa also Planeten, Sonnen, Galaxien in den Blick nimmt, arbeitet Steinfest eher mikroskopisch, vergrößert das Übersehene, inhaliert es geradezu: Die Science Fiction liebt die opulente Optik; Steinfest dagegen geht der Nase nach, olfaktorisch. In »Ein dickes Fell« – der, wie andere Romane von
Steinfest auch, eine lautere Liebe zum Haustier atmet – entfaltet beispielsweise ein Fläschchen Echt Kölnisch Wasser seine utopische Wirkung, heißt es doch (wenigstens in diesem Roman), dass das Ur-Destillat dazu tauge, einen Golem zum Leben zu erwecken, dass es ewiges Leben verleihe und überdies die Zerstörung der Welt in Gang setze. Das mögen für langjährige Nutznießer des Wässerchens alte Hüte sein; Parfümabstinenzlern wie mir bedeuteten diese Neuigkeiten phantastische Offenbarungen.
4711 und die Apokalypse – Steinfest ist es gewohnt, das Nächstliegende mit dem Entferntesten zu verknüpfen. Allerdings gilt seine Liebe eher dem Nahen als dem Fernen, eher dem Detail als dem großen Ganzen. Der Steinfest-Leser erwartet keinen Aufmarsch galaktischer Invasionshorden, deren Führer sich dann doch wieder einer Strategie und Denkungsart befleißigen wie ein Gebrauchtwagenhändler in (um der Provinz einen Namen zu geben) Düsseldorf.
Ich will deswegen an dieser Stelle auch keinen Steinfest-Roman nacherzählen – obwohl bereits die Plots aus sich heraus leuchten: Immer wieder schwärmen mir Bekannte von »Gewitter über Pluto« vor, in dem es darum geht, dass ein beliebter Pornodarsteller seinem Gewerbe den Rücken kehrt, um einen Strickwarenladen zu eröffnen. Das nötige Kapital borgt sich der Mime bei einer Dame aus der Wiener Unterwelt, die sich ausbedingt, dass er das Darlehen – ein zinsloses, übrigens – in sieben Jahren und genau an jenem 14. Juli 2015 zurückzahlt, an dem die NASA-Sonde New Horizons den Planeten Pluto erreichen wird.
Statt solcher Inhaltsangaben möchte ich mir einen exemplarischen Absatz Steinfest’scher Prosa näher ansehen: In »Batmans Schönheit« erwirbt der einarmige chinesischwienerische Detektiv Cheng für seine Stieftochter, die sich
ein Haustier wünscht, eine Schachtel mit Salzkrebsen, wie sie hierzulande jahrelang immer wieder als Dreingabe zur Comiczeitschrift YPS zu haben waren. Wie so oft bei familiärer Haustierhaltung ist es am Ende aber nicht die Tochter, sondern der Vater, der sich um das Heimtier kümmert. Unter den vielen, meist nur kurzlebigen Krebstierchen gibt es eines, das anders ist und bald Chengs ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht:
»Cheng lernte, diesen einen Krebs aufgrund seiner Bewegungen von den anderen auseinanderzuhalten. Denn selbiger schwamm, obwohl doch älter, etwas schneller, auch gewandter, man könnte sogar sagen: verspielter. Wie eine Mischung aus Sportflugzeug und Eiskunstläufer, Loopings fliegend und Pirouetten drehend.
Zudem fiel Cheng bald auf, dass der Krebs immer wieder in den zwischenzeitlich fingerdicken, jedoch überaus luftig geschichteten, geradezu wattehaft wirkenden Bodensatz hineintrieb, den er von den Seiten her gegen die Mitte schaufelte, sodass sich nach einiger Zeit ein zentraler Turm gebildet hatte, ein Turm, der bei aller Lockerheit des Materials über eine stabile Form verfügte. In diese brach der Krebs wiederholt ein, Eingänge und Ausgänge und Stollen bildend, welche aber nur eine knappe Weile hielten. Gleich sich rasch schließender Wunden. Architektur und Selbstheilung. Wobei der Krebs gleichermaßen die Rolle des Architekten wie des Baumeisters einnahm, so, wie er auch eigenhändig die kurzfristigen Wunden schlug.
Wie sehr dies auch eine menschliche Interpretation
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