Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Urzeitkrebschen. Was fasziniert Sie an solchen (Un-)Figuren?
A: Nun, ich hatte so einen Krebs, der sich in der Tat als unnatürlich langlebig herausgestellt hat. Viril auch im hohen Alter. Zudem ein famoser Architekt. Es war mir ein Bedürfnis, ihm ein literarisches Denkmal zu schaffen. Ich fühle mich halt vom Sonderbaren angezogen. Aber ich suche das Sonderbare in der nächsten Umgebung.
F: Haben Sie eine Lieblingsfigur in Ihrem eigenen Werk?
A: Ich mag sie alle, auch die Nebenfiguren. Wenn ich aber mit einer dieser Figuren zusammenleben müsste, würde ich sagen: Lilli Steinbeck. Ich schätze ihre Eleganz, ihr Parfüm, ich mag es, dass sie früh schlafen geht. Zudem würde es
beim Heiraten nicht so auffallen, wenn ich ihren Namen annehme.
F: Welche Figuren lieben Sie und welche Figuren haben sich am meisten verselbstständigt, sind Ihnen vielleicht sogar aus dem Ruder gelaufen?
A: Die erste Frage habe ich ja gerade beantwortet. Und zur zweiten wäre zu sagen: Jede Figur verselbstständigt sich, darum wird sie ja überhaupt geboren, um irgendwann ihr eigenes Leben zu führen. Manchen Figuren bleibt freilich kein anderer Weg, als zu sterben, um sich von ihrem Autor zu befreien. Das wäre vielleicht eine Erklärung für die Masse an Kriminalliteratur. Bezüglich »aus dem Ruder gelaufen«: Am ehesten bei Markus Cheng, indem ich ihn nach der Trilogie noch einmal ins Roman-Leben gerufen habe, anstatt ihn in seiner Familienidylle zu belassen. Das Ende dieses Romans, der einen Trilogie-Appendix darstellt, hat mich dann auch sehr überrascht. Im Grunde müsste ich nach dem »vierten Teil« der Trilogie irgendwann noch einen »fünften Teil« schreiben. Mal sehen.
F: Haben Sie eine Beziehung zur Science Fiction?
A: Natürlich. Vor allem zu den Filmen. Mein Lieblingsgenre. Als ich jung war, hat mich kein Film so gefangen genommen wie Alien . Das perfekte Kunstwerk – dabei ist es nichts anderes, als würde jemand recht genau ein Stück Waldboden oder ein Spinnennetz betrachten. Zuletzt hat mich Moon sehr beeindruckt, Another Earth weniger, ich denke, ich brauche bei der Science Fiction schon den Weltraum, um zufrieden zu sein.
F: Wo sehen Sie die Vorteile der phantastischen Literatur gegenüber den im Augenblick ja scheinbar dominanten phantastischen Filmen von Avatar über die Marvel-Adaptionen bis zu Inception ?
A: Nicht anders als bei jeder Art von Literatur und Film. Das Buch hat Zeit. Das ist sein großes Glück. Wenn der Erzähler
will, kann er erzählen und erzählen, Seite um Seite, tief eindringen in seine Figuren, tief eindringen in die Landschaft, und nirgends steht einer, der auf die Uhr zeigt und aufs Tempo drückt – außer vielleicht der Verleger.
F: Sind Ihre Romane dramatisch, verfolgen Sie eine bestimmte Dramaturgie?
A: Die Dramaturgie der Entwicklung. Ich kenne ja das Ende der Geschichte nicht, weiß im vornherein nicht um die mögliche Wandlung mancher Figur. Ich reagiere als Autor auf die Geschehnisse, interpretiere sie, unterstreiche das, was mir wichtig erscheint, unterschlage, was ich für unwichtig halte, um es aber später, wenn die Einsicht mich treibt, doch noch zur Sprache zu bringen. Ich verleihe dem Geschehen eine gewisse Gestalt. Die Gestalt verweist auf meinen Stil. Ein Prinzip dabei ist sicher das der »Abschweifung«. Ihr Zweck liegt aber nicht darin, von der Geschichte wegzuführen, sondern quasi in ihrem Rücken aufzutauchen, sie von hinten zu betrachten, von der Seite. Oder gar mit Röntgenblick durch sie hindurchzuschauen, aufs Knochengerüst, auf die Geschwüre, oder dass der Magen merkwürdigerweise mit Sanitäreinrichtung ausgestattet ist.
F: Das Hörspiel ist eine heute eher marginalisierte Form. Wo sehen Sie seine besonderen Möglichkeiten, Stärken?
A: Bei einem Hörspiel, das man sich abends im Bett zu Gemüte führt, kann man einschlafen, ohne dass das gegen das Hörspiel spricht – man schläft nicht ein, weil das Hörspiel langweilig ist, sondern die Stimmen, die Töne, die Klänge tragen einen in den Schlaf, um dort noch etwas nachzuwirken. Das ist natürlich nur einer von vielen Vorteilen.
F: Sie gehören zu den Autoren, die in ihren Texten den Leser bedenken. Ich denke da an die legendäre Anmerkung zu ihrem Roman »Gewitter über Pluto«, in der es heißt: »Es wird dem einen oder anderen Leser aufgefallen sein, dass in diesem
Roman ein 13. Kapitel fehlt. Dies hat den gleichen banalen Grund, aus dem heraus in Flugzeugen – bei denen es sich ja um
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