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Heyne Galaxy 06

Heyne Galaxy 06

Titel: Heyne Galaxy 06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter (Hrsg.) Ernsting
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Welt der Viecher. Haben wir wenigstens bisher angenommen. Nun verschiebt sich dieses Bild. Eine neue Version drängt sich auf – eine Welt der Bakterien. Sie alle zusammen bilden eine einzige Intelligenz. Eine Lebensform, die wir uns nur sehr schwer vorstellen können, aber es spricht vieles dafür. Wenn wir aber diese Theorie als gegebene Tatsache anerkennen, hätten wir eine Erklärung für den Freitod der Viecher – denn er wäre in Wirklichkeit nicht das, was wir als ›Tod‹ bezeichnen. Es ist nur so, als schnitten wir uns einen Fingernagel ab. Das alles ist nur eine Vermutung, aber wenn sie stimmt, dann hat Fullerton die Unsterblichkeit gefunden, allerdings anders, als er sie sich vorgestellt hat. Er kann nichts mit ihr anfangen.«
    Kemper lehnte sich zurück und sah mich an. Ich gab den Blick zurück und schwieg. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Kemper seufzte und fuhr fort:
    »Das alles bereitet mir keine Sorgen, denn es gäbe eine Erklärung dafür. Gewissermaßen habe ich eine Erklärung, alles andere zu erklären. Aber was mir wirklich Sorgen bereitet, weil es unlogisch erscheint und wofür es keine Erklärung gibt, ist die unbestrittene Tatsache, daß diese Welt so friedlich ist, daß sie keinerlei Verteidigungsmaßnahmen kennt. Die Viecher verteidigen sich nicht. Auch nicht gegen die Bakterien. Vor uns laufen sie nicht fort – wir könnten die ganzen Herden einfach abschießen und so ausrotten. Jedes Lebewesen aber rennt davon, wenn überlegene Feinde sich nähern. Es versteckt sich und versucht, seine Existenz zu erhalten. Die Viecher nicht.«
    Er hatte recht. Die Viecher liefen nicht fort, im Gegenteil. Sie ersparten uns sogar die Mühe, sie zu jagen. Sie kamen freiwillig, wenn wir Fleisch brauchten oder sie untersuchen wollten. Sie starben, um uns einen Gefallen zu tun.
    »Vielleicht gehen wir von falschen Voraussetzungen aus«, sagte Kemper. »Vielleicht ist das Leben nicht so wertvoll, wie wir immer meinen. Kann doch sein, daß nur wir so sehr daran hängen, daß wir alles tun, es zu erhalten. Vielleicht gibt es etwas Besseres als das Leben. Und die Viecher mögen, wenn sie sterben, der Wahrheit näher sein, als wir es jemals sein werden.«
    Ich kannte Kemper. Er würde nun jeden Abend mit mir darüber sprechen, aber er würde sich im Kreis bewegen. Niemals würde er zu einem greifbaren Ergebnis gelangen. Und wenn Kemper nicht mit mir sprach, dann sprach er zu sich selbst, um endlich eine Formulierung für seine Vermutungen zu finden, die er laut aussprechen konnte. Die man ihm glauben konnte. Eine Formulierung, die wahrscheinlich klang.
    Später, als das Licht erloschen war, lag ich noch lange wach auf meinem Bett und dachte über das nach, was Kemper angedeutet hatte. Ich begann, ebenfalls im Kreis zu denken, ohne eine Lösung zu finden. Besonders fragte ich mich, warum die Viecher zu uns kamen, um freiwillig zu sterben. Das widersprach allen Naturgesetzen und Instinkten. Die Tiere waren gesund gewesen, daran konnte kein Zweifel bestehen. Vielleicht war das Sterben bei ihnen ein Privileg. Vielleicht durften nur die Gesunden sterben, nicht die Kranken. Vielleicht gab es bei ihnen wirklich so etwas wie Unsterblichkeit – in übertragenem Sinn.
    Ich stellte mir tausend Fragen, aber ich fand nicht eine einzige Antwort.
    Die Tage vergingen.
    Weber hatte einige der Versuchstiere getötet, um sie zu untersuchen. Das Fleisch und die Früchte der Viecher waren ihnen gut bekommen. Im Blut fand Weber einige Bakterien, aber keine Anzeichen für eine Erkrankung. Auch hatten sich keine Gegenbakterien oder Antibiotika gebildet. Kemper setzte seine Arbeit fort, ohne ein Ergebnis anzudeuten. Oliver beschäftigte sich mit dem Gras. Parson gab einfach auf.
    Die Punkins kamen nicht zurück.
    Parson und Fullerton unternahmen den Versuch, sie in der Steppe zu finden, aber sie entdeckten nicht die geringste Spur von den Entflohenen.
    Sie waren spurlos verschwunden.
    Ich selbst arbeitete weiter an meinem Bericht und wunderte mich, wie gut die einzelnen Mosaikstückchen zueinander paßten. Ich begann zu hoffen, ein einigermaßen verständliches und logisches Gesamtbild zu erhalten. Überhaupt fühlten wir uns alle recht prächtig, und in Gedanken hielten wir schon die Hände auf, um die zu erwartende Auszeichnung in Empfang zu nehmen.
    Doch tief im Unterbewußtsein nagten die Zweifel; bei allen von uns. Es war eben alles zu einfach und zu schön. Zu friedlich und zu ideal. Es schien uns unmöglich, daß nicht

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