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Heyne Galaxy 06

Heyne Galaxy 06

Titel: Heyne Galaxy 06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter (Hrsg.) Ernsting
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Streichhölzer.
    Um die Situation nun haargenau zu rekonstruieren, lassen Sie mich noch hinzufügen, daß der Wind aus nordöstlicher Richtung kam. Er war nicht sehr stark, höchstens zehn Kilometer die Stunde. Der Abendstern war aufgegangen, und der Mond stand im letzten Viertel. Wenn Sie wollen, können Sie daraus Ihre Schlüsse ziehen.
    Als ich die Ecke 98. Straße erreichte, wollte ich den Broadway überqueren. Kaum hatte ich den Bürgersteig verlassen, als mir eine Stimme ins Ohr rief:
    »Der Lastwagen! Achten Sie auf den Lastwagen!«
    Ich sprang unwillkürlich auf den Bürgersteig zurück und sah mich schnell nach allen Seiten um. Die Straße war leer und kein Auto in Sicht. Doch dann, kaum eine Sekunde später, raste ein kleiner Lieferwagen um die Ecke, bog auf den Broadway ein und fuhr über die Kreuzung, obwohl die Ampel rot brannte.
    Ohne die Warnung wäre ich zweifellos überfahren worden.
    Sie kennen derartige Geschichten, nicht wahr? Unsichtbare Wesen mit flüsternden Stimmen, die Tante Anni warnten, nicht mit dem Aufzug zu fahren – und dann blieb der Aufzug stecken oder stürzte in den Schacht. Oder sie warnten Onkel Joe, nicht an Bord der »Titanic« zu gehen. Er ging natürlich nicht, und das Schiff versank im Meer. Damit endeten meist derartige Geschichten.
    Ich wollte, meine auch.
    »Vielen Dank«, sagte ich und drehte mich um.
    Ich war allein unter der Ampel.
    »Können Sie mich noch hören?« fragte die Stimme.
    »Natürlich kann ich das«, erwiderte ich und drehte mich mehrmals um meine eigene Achse. Niemand war in der Nähe. Mißtrauisch betrachtete ich die Fenster der Parterrewohnungen. »Wo, zum Teufel, sind Sie denn?«
    »Schattenseite«, lautete die unklare Antwort. »Ist das der richtige Ausdruck? Refraktionsindex. Ein Wesen ohne feste Substanz. Lichtbrechung vielleicht. Ich weiß nicht, ob Ihre Gedanken …«
    »Sie sind unsichtbar?« fragte ich impulsiv.
    »Ja, das ist der richtige Ausdruck dafür.«
    »Wer sind Sie?«
    »Ein validusischer Derg.«
    »Ein was?«
    »Ich bin ein … ja, denken Sie ruhig, das erleichtert mir, mich auszudrücken. Ich bin der Weihnachtsmann … Der Amphibienmensch aus der schwarzen Lagune … Frankenstein …«
    »Halten Sie die Luft an«, stieß ich hervor, denn er las meine Gedanken. »Was wollen Sie mir eigentlich einreden? Daß Sie ein Geist sind oder der Bewohner eines anderen Planeten?«
    »Ja, genau das ist es«, sagte der Derg erfreut. »Ein anderer Planet.«
    Damit war natürlich alles klar. Jeder Narr mußte nun erkennen, daß die Stimme einem unsichtbaren Wesen von einem anderen Planeten gehörte. Das war alles recht einfach und leicht zu verstehen. Ein Derg war nicht zu sehen, wenigstens nicht auf der Erde. Und er hatte eine Gefahr erkannt, noch ehe sie zu sehen war. Er hatte mich gewarnt. Ein ganz gewöhnlicher, übernatürlicher Vorgang, wie er täglich irgendwo passierte.
    Ich schüttelte den Kopf und setzte meinen Weg fort.
    »Was ist denn los?« fragte der unsichtbare Derg erstaunt.
    »Gar nichts ist los«, erklärte ich, ohne stehenzubleiben. »Aber wenn mich normale Menschen beobachten, dann sehen sie mich mitten auf der Straße stehen und mit einem unsichtbaren Wesen sprechen, das vom Rand der Milchstraße zu mir gekommen ist, um mich davor zu bewahren, unter ein Auto zu kommen. Wahrscheinlich bin ich auch noch der einzige, der Sie hören kann.«
    »Selbstverständlich sind Sie der einzige.«
    »Habe ich mir gedacht! Wissen Sie, wo ich da landen werde?«
    »Der Gedanke hinter Ihren Worten ist mir nicht ganz klar.«
    »Dann will ich es deutlicher ausdrücken: Klappsmühle! Irrenhaus! Sanatorium für Spinner! Das ist es, wo sie Leute hinbringen, die am hellen Tag und mitten auf der Straße mit unsichtbaren Lebewesen von fremden Planeten reden. Vielen Dank für die Warnung, Freund, und auf Wiedersehen.«
    Ich fühlte mich erleichtert, als ich weiterging. Sehnlichst hoffte ich, daß sich mein unsichtbarer Partner entschließen würde, die entgegengesetzte Richtung zu bevorzugen.
    »Sie wollen wohl nicht mit mir reden, was?« hörte ich die Stimme des Derg, und alle meine Hoffnungen zerrannen. Aber ich gab keine laute Antwort, sondern schüttelte nur den Kopf. Das war eine harmlose Geste, wegen der mich so schnell niemand festnehmen konnte. Unbeirrt marschierte ich weiter.
    »Aber Sie müssen«, beharrte der Derg, und in seiner lautlosen Stimme glaubte ich Verzweiflung heraushören zu können. »Für mich ist ein derartiger Kontakt nur sehr

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