Heyne Galaxy 06
davon?«
»Befriedigung! Für einen validusischen Derg gibt es keine größere Befriedigung, als ein anderes Lebewesen vor drohenden Gefahren zu warnen.«
»Und nichts anderes?« Ich legte alle meine Zweifel in meine Stimme. »Sie wollen nicht meine Seele? Oder die Weltherrschaft?«
»Nichts. Wenn ich einen Lohn für meine Dienste verlangen würde, ginge die emotionelle Bedeutung verloren. Ich empfände keine Befriedigung mehr. Alles was ein Derg will, ist, ein anderes Lebewesen vor Gefahren zu beschützen, die es nicht sehen kann, die wir aber deutlich erkennen.« Der Derg macht eine Pause, dann fügte er sanft hinzu: »Wir erwarten nicht einmal einen Dank dafür.«
Ich ließ mich überreden. Wie sollte ich ahnen, welche Konsequenzen das für mich haben würde? Woher sollte ich damals wissen, daß mich der Schutz des Derg soweit bringen würde, daß ich unter keinen Umständen lesnerizen durfte?
»Was also ist mit dem Blumentopf?« wollte ich wissen.
»Er fällt Ecke zehnte Straße und Adams Boulevard herab, morgen früh halb neun.«
»Wo ist das – zehnte Straße Adams Boulevard?«
»In Jersey City.«
»Da bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht gewesen. Was soll ich auch dort? Warum warnen Sie mich vor einer Gefahr, in die ich niemals geraten werde?«
»Ich habe keine Ahnung, wohin Sie morgen gehen. Ich kann Sie nur vor Gefahren warnen, wann und wo immer sie auch auftauchen.«
»Und was soll ich nun tun?«
»Was Sie wollen«, antwortete der Derg. »Führen Sie Ihr normales Leben weiter.«
Normales Leben! Was für ein Witz!
Dabei ließ es sich zuerst gar nicht so schlecht an.
Ich ging in meine Vorlesungen in der Columbia Universität, arbeitete zu Hause, ging ins Kino, traf mich mit meinen Freundinnen und spielte Tennis – alles so wie früher. Mit keinem Wort und mit keiner Geste verriet ich meinen Mitmenschen, daß ich unter dem Schutz eines unsichtbaren validusischen Derg stand.
Einmal und manchmal auch zweimal am Tag meldete er sich. Kurz und knapp kündigte er eine Gefahr an. Etwa so: »West End Avenue zwischen der sechsundsechzigsten und siebenundsechzigsten Straße ist ein Kellergitter lose. Gehen Sie nicht darüber.«
Und ich ging nicht. Am nächsten Tag konnte ich dann in der Zeitung lesen, daß es ein anderer getan hatte.
Allmählich gewöhnte ich mich daran, und ein großartiges Gefühl der Sicherheit überkam mich. Ein außerirdisches Lebewesen war ständig um mich, ging sogar vierundzwanzig Stunden in die Zukunft, um für mein Wohl zu sorgen. Eine Leibwache, wie sie niemals ein Mensch besessen hatte. Mein Selbstvertrauen wuchs.
Doch bald schon wuchs der Eifer des Derg. Er entdeckte immer mehr Gefahren, auf die er mich aufmerksam machte, auch wenn sie in weit entfernten Orten auftraten, wo ich nie im Leben hinkommen würde. Mexiko, Toronto, Omaha oder Papeete. Das ging mir sehr auf die Nerven, und eines Tages stellte ich ihn zur Rede:
»Haben Sie eigentlich die Absicht, mir alle Gefahren aufzuzählen, die es auf der ganzen Erde gibt?«
»Nein, nur die wenigen, die zu Ihrem Lebensbereich gehören.«
»In Mexico City? Papeete? Warum beschränken Sie sich nicht auf New York?«
»Ortsangaben bedeuten mir in diesem Fall nicht viel«, erklärte der Derg hartnäckig. »Mein Wahrnehmungsvermögen ist in erster Linie temporal, nicht räumlich. Ich beschütze Sie vor allem, was ich entdecken kann.«
Das war ja außerordentlich rührend, mußte ich zugeben, und ich konnte auch nichts dagegen tun. Somit erfuhr ich, was in den nächsten vierundzwanzig Stunden auf der Welt geschah. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Ankündigungen über Hoboken, Thailand, Angkor Vat (wo am nächsten Tag eine alte Statue umfiel und einen Touristen erschlug), Paris oder London einfach zu ignorieren. Ich konzentrierte mich auf die Gefahren, die der Derg für meine nähere Umgebung ankündigte, und das waren immer noch genug. So wurde ich zum Beispiel davor bewahrt, im abendlichen Cathedral Park überfallen zu werden, in eine Schlägerei von Jugendlichen zu geraten und in einem Kino zu verbrennen.
Dann aber wurde es mir doch zuviel. Zuerst erhielt ich pro Tag nur ein oder zwei Warnungen, dann waren es fünf oder sechs. Nach einem Monat hörte ich, solange ich nicht schlief, die lautlose Stimme meines unsichtbaren Beschützers. Unaufhörlich berichtete sie über die Gefahren, die in allen Teilen der Welt auf mich lauerten.
Soviel Gefahren konnte es überhaupt nicht geben.
Wenigstens nicht für
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