Heyne Galaxy 11
nach gekochtem Kohl und Tennisschuhen.«
Sie öffnete eine Tür und ließ sie ärgerlich hinter sich zufallen.
Im Versammlungsraum kam sie mit den anderen Frauen zusammen. Es war erstaunlich; jedesmal hatte sie das Gefühl, in eine Art Spiegelkabinett geraten zu sein, in dem man immer wieder nur sich selbst begegnet. Und fast war es auch so! Die gleichen gepuderten Gesichter, die gleichen hageren Hände, die gleichen klimpernden Armbänder. Ein Ebenbild nach dem anderen schwebte an ihr vorüber. Sie verspürte den Impuls, die Hand auszustrecken und ihre Spiegelbilder zu berühren. Aber da war natürlich kein Spiegel.
»Wir warten auf Mr. Thirkell. Psst!« sagte eine der Damen.
»Ah!« flüsterte alles.
In diesem Augenblick teilte sich der Samtvorhang.
Mr. Thirkell erschien, die Freundlichkeit in Person. Trotzdem war es Mrs. Bellowes, als hätte er etwas Seltsames an sich, und sie rechnete jeden Augenblick damit, daß er laut »Hallo!« schreien und zu tanzen beginnen würde, während ihm kleine Hunde über die Beine und ausgebreiteten Arme krabbelten und er mit einem strahlenden Lächeln wieder in den Kulissen verschwand. Jedesmal, wenn sie Mr. Thirkell zu Gesicht bekam, glaubte sie im Hintergrund einen kleinen Gong zu hören, der seinen Auftritt gebührend ankündigte. Seine leuchtenden Augen waren so unergründlich, daß eine der alten Damen darin einen Moskitoschwarm zu sehen geglaubt hatte, wie sie im Sommer oft über gefüllten Regentonnen schwirren. Und wenn Mrs. Bellowes ihm nahe war, meinte sie zuweilen den Mottenkugelgeruch seiner Kleidung und den Dampfgeruch seiner untadelig gebügelten Hosen zu atmen.
Aber mit demselben Willen zum Glauben, der ihr auch über all die anderen Enttäuschungen ihres unnützen Lebens hinweggeholfen hatte, unterdrückte sie ihr Mißtrauen und flüsterte: »Diesmal ist alles in Ordnung. Diesmal wird mein Wunsch in Erfüllung gehen. Denn wir haben doch die Rakete, nicht wahr?«
Mr. Thirkell verbeugte sich und setzte ein komödiantenhaftes Lächeln auf.
Noch ehe er zu sprechen begann, glaubte Mrs. Bellowes förmlich zu sehen, wie er jedes Wort einzeln auswählte und sorgfältig darauf achtete, daß es sich auch ja recht geschmeidig einfügte in den Strom seiner Rede. Wie von winzigen Fäusten wurde ihr Herz zusammengedrückt, und sie biß ihre künstlichen Zähne zusammen.
»Meine Lieben«, sagte Mr. Thirkell, und man konnte förmlich spüren, wie sich der Rauhreif um die Herzen seiner Zuhörerinnen legte.
»Wir werden leider eine kleine Verzögerung hinnehmen müssen«, sagte Mr. Thirkell.
»Nein!« sagte Mrs. Bellowes laut. Sie hatte gewußt, daß Mr. Thirkell schlechte Nachrichten brachte und daß sie seiner Wortflut hilflos ausgeliefert war.
In der nächsten Stunde hatten sich die Damen protestierend von ihren Stühlen erhoben.
»Keine sehr große Verzögerung«, beeilte sich Mr. Thirkell zu versichern und hob beruhigend die Hände.
»Wie lange?«
»Nur eine Woche.«
»Eine Woche?«
»Ja. Sie können selbstverständlich hier im Erholungsheim bleiben. Eine kleine Verzögerung dürfte doch Ihnen nichts ausmachen, meine Damen! Sie haben Ihr ganzes Leben auf dieses Erlebnis gewartet – jetzt kommt es auf ein paar Tage wohl auch nicht mehr an.«
»Bei zwanzig Dollar Vollpension pro Tag!« sagte Mrs. Bellowes.
»Was ist denn überhaupt los?« rief eine Frau.
»Eine rein juristische Formalität«, erwiderte Mr. Thirkell.
»Sie haben doch eine Rakete, oder nicht?«
»J-ja, natürlich.«
»Ich warte jetzt schon einen ganzen Monat!« sagte eine alte Dame aufgebracht. »Und immer nur Verzögerungen, Verzögerungen!«
»Stimmt!« sagten die anderen.
»Meine Damen! Meine Damen!« sagte Mr. Thirkell und lächelte beruhigend.
»Wir wollen die Rakete sehen!« forderte Mrs. Bellowes und hob ihre Faust wie einen Spielzeughammer.
Mr. Thirkell blickte die alten Damen an, ein Missionar unter albinotischen Kannibalen.
»Nun ja …«, sagte er.
»Ja, ja!« rief Mrs. Bellowes.
»Ich fürchte …«
»Ich auch!« sagte sie. »Deshalb wollen wir das Schiff sehen!«
»Nein, nein. Nicht jetzt. Mrs….« Er schnalzte mit dem Finger, doch er konnte sich nicht an ihren Namen erinnern.
»Bellowes!« rief sie. Sie war ein winziges Persönchen, doch plötzlich ließ sich all das, was sich im Laufe der Jahre in ihr angestaut hatte, nicht länger zurückhalten. Ihre Wangen färbten sich, und mit einem Ton, der an das Heulen einer müde gewordenen Fabriksirene erinnerte, stürzte
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