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HHhH

HHhH

Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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Anspannung meiner Meinung nach noch unerträglicher wird. Ich weiß nicht, welche unglaubliche nervliche Widerstandsfähigkeit sie brauchten, um sich zu kontrollieren. Geschwind lasse ich die Situationen meines Lebens Revue passieren, in denen ich ruhig Blut bewahren musste. Einfach lachhaft! Lächerlich, worum es dabei ging: ein gebrochenes Bein, nächtlicher Wacheinsatz, eine Abfuhr, und das ist auch schon alles, was ich in meiner armseligen Existenz riskierte. Wie sollte ich mehr als ein brüchiges Bild von dem vermitteln können, was die drei Männer durchlebten?
    Doch für derlei Bedenken ist es jetzt eindeutig zu spät. Schließlich habe auch ich gewisse Verantwortungen, denen ich mich stellen muss. Ich folge also weiterhin der Fahrspur des Mercedes. Lausche den Geräuschen des Lebens an diesem Maimorgen. Spüre den Wind der Geschichte, der leise zu pfeifen beginnt. Lasse alle Akteure nacheinander aufmarschieren, vom 12. Jahrhundert bis hin zur heutigen Zeit und zu Natacha. Um schließlich nur fünf Namen im Gedächtnis zu behalten: Heydrich, Klein, Valčík, Kubiš und Gabčik.
    Allmählich erblicken diese fünf Personen Licht am Ende des Tunnels meiner Geschichte.

207
    Am Nachmittag des 26. Mai 1942, wenige Stunden vor dem Eröffnungskonzert der Prager Musikwoche, für das er ein Werk seines Vaters ausgewählt hat, gibt Heydrich vor den versammelten Protektoratsjournalisten eine Pressekonferenz:
    «Ich muss erleben, dass die Unhöflichkeiten, ja die Taktlosigkeiten, um nicht zu sagen: Frechheiten, besonders gegenüber dem Deutschen, wieder in der Zunahme begriffen sind. Auch die kleinen Sabotageakte, die weniger Schaden tun als einen oppositionellen Geist zeigen sollen, haben zugenommen … Sie wissen, meine Herren, dass ich großzügig und allen Aufbauplänen fördernd gegenüberstehe. Sie wissen aber auch, dass ich bei aller Geduld nicht zögern werde, unerhört hart zuzuschlagen, wenn ich das Gefühl und den Eindruck haben sollte, dass man das Reich immer noch für schwach hält und loyales Entgegenkommen meinerseits für Schwäche ansieht.»
    Ich bin ein Kind. Dieser Diskurs ist in mehrfacher Hinsicht interessant; er zeigt, dass Heydrich auf dem Höhepunkt seiner Macht und sich seiner Stärke wohl bewusst, formuliert wie der aufgeklärte Monarch, für den er sich hält, der Vizekönig, der so stolz auf seine Regentschaft ist, der harte, aber gerechte Herr – als habe sich die fürsorgliche Bedeutung des Titels «Protektor» in das Gewissen seines Trägers eingebrannt, als halte Heydrich sich tatsächlich für einen «Schutzherrn». Heydrich, der stolz auf sein scharfsinniges Politikverständnis ist und in jeder seiner Reden Zuckerbrot und Peitsche mitschwingen lässt; das Sinnbild schlechthin für den rhetorischen Radau seiner totalitären Thesen, Heydrich, der Henker, Heydrich, der Schlächter, der ungeniert seine Großzügigkeit und Fortschrittlichkeit beschwört und mit der Arroganz und dem Wissen der verschlagensten Tyrannen gekonnt in die Antiphrase umschwenkt. Doch das ist es gar nicht, woran ich hängenbleibe bei dieser Rede. Ich kann einfach nicht fassen, mit welcher Unverfrorenheit sich ein Tyrann wie Heydrich über «Unhöflichkeiten» seitens seiner Opfer ereifert.

208
    Am Abend des 26. Mai will Libena ihren Verlobten Gabčik besuchen. Doch er ist ausgegangen, um seine Nerven zu beruhigen. Er kann die Befürchtungen der Mitglieder der Widerstandsbewegung nicht mehr hören; sie fürchten die Folgen des Attentats. Kubiš öffnet die Tür und bittet Libena herein. Sie hat Zigaretten mitgebracht. Nach einem kurzen Moment des Zögerns übergibt Libena Kubiš die Zigaretten. «Aber, Jeniček (sie verwendet die Koseform für Jan, muss also seinen wirklichen Namen kennen), rauche sie bitte nicht alle allein! …» Dann macht sich die junge Frau wieder auf den Weg, und sie weiß nicht, ob sie ihren Verlobten jemals wiedersieht.

209
    Ich glaube, dass jeder Mensch, dessen Leben nicht aus einer endlosen Aneinanderreihung unglücklicher Umstände besteht, zumindest einen Moment erlebt hat, den er – zu Recht oder auch nicht – als Apotheose betrachtet. Und ich glaube, dass dieser Moment für Heydrich, dem das Leben sehr wohlwollend mitgespielt hat, nun gekommen ist. Durch einen der pikanten Zufälle, die wir leichtgläubig zum Schicksal erheben, ereignet sich dieser Moment einen Tag vor dem Attentat.
    Als Heydrich die Kapelle des Prager Waldstein-Palais betritt, erheben sich alle geladenen

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