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ist mit seiner Frau durch die ausufernden Gärten ihres Anwesens geschlendert. Lina musste ihm den Stand der Bauarbeiten erläutern. Anscheinend sollen ein paar Eschen gefällt werden, um Obstbäume an ihre Stelle zu setzen. Doch ich frage mich, ob Ivanov das nicht erfunden hat. Ihm zufolge soll Heydrichs jüngste Tochter Silke ihrem Papa erzählt haben, ein gewisser Herbert, der sonst nirgendwo Erwähnung findet, habe ihr beigebracht, einen Revolver zu laden. Sie ist drei Jahre alt. Nun gut, während dieser unruhigen Zeiten sollte mich eigentlich nichts mehr überraschen.
213
Heute Morgen, am 27. Mai 1942, jährt sich der Todestag von Joseph Roth, der an den Folgen seiner Alkoholabhängigkeit und vor Kummer drei Jahre zuvor in Paris verstarb. Er war ein unerbittlicher Beobachter und Visionär des Naziregimes während dessen Aufstiegs und schrieb schon 1934: «Welch Wimmeln in der Welt, eine Stunde vor ihrem Ende!»
Zwei Männer besteigen eine Tram, und während sie zum Fenster hinausschauen und den Anblick der Prager Straßen in sich aufsaugen, sagen sie im Stillen zu sich, dass sie vielleicht soeben ihre letzte Fahrt angetreten haben. Genauso gut ist aber möglich, dass sie beschlossen haben, nichts zu sehen, ganz abzuschalten, ihre Konzentration zu sammeln, indem sie die Außenwelt ausblenden. Doch das bezweifle ich stark. Es ist ihnen mittlerweile längst in Fleisch und Blut übergegangen, auf der Hut zu sein.
Von dem Moment an, in dem sie die Tram besteigen, lassen sie die männlichen Passagiere automatisch nicht mehr aus den Augen: wer einsteigt und aussteigt, wer vor den jeweiligen Türen steht; sie wissen sofort, wer Deutsch spricht, selbst wenn er sich am anderen Ende des Wagens befindet. Sie wissen, welches Fahrzeug vor der Tram herfährt, welches ihr folgt, in welchem Abstand, haben das Motorrad der Wehrmacht im Blick, das von rechts überholt, werfen einen Blick auf die Patrouille, die den Gehweg hinaufsteigt, entdecken die beiden Gestalten in ledernen Regenmänteln, die das Gebäude gegenüber bewachen (okay, ich höre schon auf). Gabčik trägt ebenfalls einen Regenmantel, und obwohl die Sonne scheint, ist es zu dieser Uhrzeit noch kühl genug, um damit nicht aufzufallen. Vielleicht trägt er ihn aber auch über dem Arm. Kubiš und er haben sich in gewisser Weise für den großen Tag herausgeputzt. Und beide halten eine schwere Aktentasche an den Körper gedrückt.
Irgendwo in Žižkov (sprich: Dschidschko) steigen sie aus. Das Viertel trägt den Namen des legendären Jan Žižka, des größten und grausamsten Hussitenführers – der Einäugige, der Blinde, der der Armee des Heiligen Römischen Reiches vierzehn Jahre lang die Stirn bot, Hauptmann der Taboriten, der den Zorn des Himmels auf alle Feinde Böhmens lenkte. Dort begeben sie sich zu einer Kontaktperson, um ihre Fahrzeuge abzuholen: zwei Fahrräder, die sie schwungvoll besteigen. Eins davon gehört der Tante Moravcová. Im Stadtteil Holešovice machen sie halt, um sich bei einer anderen Widerstandskämpferin zu bedanken – eine weitere Ersatzmutter, die sie versteckt hielt und für sie Kuchen backte, eine Frau Khodlová. «Ihr seid doch nicht gekommen, um euch zu verabschieden, oder?»
«Aber nicht doch, liebe Mama Khodlová, wir kommen bald wieder auf einen Besuch vorbei, vielleicht sogar heute noch. Werden Sie zu Hause sein?»
«Aber sicher, kommt einfach vorbei …»
Als sie endlich eintreffen, ist Valčík bereits da. Vielleicht ist auch ein vierter Fallschirmspringer vor Ort, Leutnant Opálka von «Out Distance», um ihnen zur Hand zu gehen, doch seine Rolle konnte nie geklärt werden, nicht einmal, ob er tatsächlich anwesend war, also halte ich mich an das, was ich weiß. Es ist noch nicht neun Uhr, und nach einer kurzen Diskussion beziehen die drei Männer ihre Posten.
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Gleich schlägt es zehn Uhr, und Heydrich ist noch immer nicht zur Arbeit aufgebrochen. Noch heute Abend soll er nach Berlin fliegen, um sich mit Hitler zu treffen. Vielleicht bereitet er sich besonders sorgfältig auf dieses Treffen vor. Als peinlich genauer Bürokrat überprüft er die Dokumente in seiner Aktentasche sicherlich ein letztes Mal. Fest steht, dass es bereits zehn Uhr ist, als Heydrich endlich auf dem Beifahrersitz des Mercedes Platz nimmt. Klein startet den Wagen, die Schlosstore öffnen sich, bei der Durchfahrt des Reichsprotektors recken die Wachposten den Arm zum Gruß, und das Mercedes-Cabriolet gleitet auf die
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