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HHhH

HHhH

Titel: HHhH Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Binet Laurent
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das erscheint mir wenig wahrscheinlich), kann er nicht sehen, dass der soeben am Horizont auftauchende Mercedes nicht von einer Eskorte begleitet wird. Ich wette, er hat nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet. In diesem Moment hat er zwangsläufig nur noch einen einzigen Gedanken im Kopf, der den gesamten Platz in seinem lodernden Gehirn beansprucht: das Ziel angreifen. Doch mit Sicherheit vernimmt er das charakteristische Geräusch der Tram, die hinter ihm herannaht.
    Plötzlich taucht der Mercedes auf. Wie erwartet, bremst er ab. Doch wie befürchtet, fährt er im denkbar ungünstigsten Moment an einer vollbesetzten Straßenbahn vorbei: exakt in dem Moment, als er auf Gabčiks Höhe ankommt. Da ist nichts zu machen. Das Risiko, Zivilisten zu gefährden, wurde besprochen, und man beschloss, das Risiko einzugehen. Gabčik und Kubiš besitzen weniger Skrupel als Die Gerechten von Camus, doch das kommt daher, dass ihre Existenz über einfache schwarze Buchstaben hinausgeht, die sich in Zeilen auf Papier aneinanderreihen.

217
    Sie sind stark, Sie sind mächtig, Sie sind mit sich selbst zufrieden. Sie haben Menschen getötet und werden noch viele, viele weitere töten. Ihnen gelingt einfach alles. Nichts kann Sie aufhalten. In nicht einmal zehn Jahren sind Sie zum «gefährlichsten Mann des Dritten Reiches» geworden. Niemand macht sich mehr über Sie lustig. Man nennt Sie nicht mehr «die Ziege», sondern «die blonde Bestie»: In der Rangordnung der Tiere sind Sie unbestreitbar in eine andere Kategorie aufgestiegen. Heutzutage werden Sie von allen gefürchtet, selbst von Ihrem Chef, dem bebrillten Hamster, obwohl er selbst ausgesprochen gefährlich ist.
    Sie haben es sich auf dem Beifahrersitz Ihres Mercedes-Cabriolets bequem gemacht, und der Wind streicht Ihnen durchs Gesicht. Sie sind auf dem Weg in Ihr Büro, das sich in einer Burg befindet. Sie leben in einem Land, dessen Bürger Ihre Untertanen sind, und Sie können über Leben und Tod dieser Menschen bestimmen. Wenn Sie wollten, könnten Sie sie alle töten, bis auf den letzten. Vermutlich ist es genau das, was diese Menschen erwartet.
    Doch Sie werden nicht mehr da sein, um zuzusehen, weil Sie zu anderen Abenteuern gerufen werden. Sie wollen sich anderen Herausforderungen stellen. Nachher werden Sie ins Flugzeug steigen und Ihr Königreich aufgeben. Sie kamen, um im Land für Ordnung zu sorgen, und haben Ihre Aufgabe mit Bravour erfüllt. Sie haben ein ganzes Volk unter Ihre Knute gebracht, Sie haben im Protektorat mit eiserner Hand durchgegriffen, Sie haben Politik gemacht, Sie haben regiert, Sie haben geherrscht. Ihrem Nachfolger werden Sie die schwierige Aufgabe hinterlassen, den Fortbestand Ihres Erbes dauerhaft zu sichern, namentlich: jegliches Wiederaufkeimen der Widerstandsbewegung, die Sie zerschlagen haben, im Keim zu ersticken; den gesamten tschechischen Produktionsapparat am Laufen zu halten und zugunsten des deutschen Kriegsgeschehens einzusetzen; den Prozess der Germanisierung voranzutreiben, den Sie eingeleitet und dessen Modalitäten Sie festgelegt haben.
    Beim Gedanken an Ihre Vergangenheit und an Ihre Zukunft überkommt Sie ein gigantisches Gefühl der Selbstzufriedenheit. Sie halten die Ledertasche auf Ihren Knien fest umschlossen. Sie denken an Halle, an die Marine, an Frankreich, das auf Sie wartet, an die Juden, die sterben werden, an das unsterbliche Reich, das Sie auf ein grundsolides Fundament gestellt und dessen Wurzeln Sie tief im Boden verankert haben. Doch Sie vergessen die Gegenwart. Haben die Träumereien, die Ihr Gehirn durchströmen, während der Mercedes dahingleitet, Ihre Polizeiinstinkte vernebelt? Sie sehen den Mann nicht, der trotz des warmen Frühlingswetters einen Regenmantel über dem Arm trägt und vor Ihnen das Bühnenbild Ihrer Gegenwart durchquert, die Sie soeben einholt.
    Was macht dieser Idiot da?
    Er bleibt mitten auf der Straße stehen.
    Vollführt eine Vierteldrehung, um dem Wagen gegenüberzustehen.
    Blickt Ihnen direkt in die Augen.
    Wirft den Regenmantel weg.
    Enthüllt eine Maschinenpistole.
    Richtet sie auf Sie.
    Zielt.
    Und drückt ab.

218
    Er drückt ab, und nichts passiert. Leider kann ich einen derart billigen Effekt an dieser Stelle nicht vermeiden. Nichts passiert. Der Abzug klemmt, oder er versagt nach Strich und Faden und trifft ins Leere. All die monatelangen Vorbereitungen, nur damit die Sten, diese englische Mistwaffe, eine Ladehemmung hat. Heydrich, auf den er aus allernächster Nähe

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