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Übereinstimmung unwahrscheinlich; der dunkelhaarige Offizier wird als junger Mann beschrieben, während Manstein 1930 schon dreiundvierzig Jahre alt war. Vielleicht handelte es sich um jemanden aus seiner Familie, einen Neffen oder Cousin zweiten Grades.
Die junge Lina war, soweit man weiß, bereits mit achtzehn überzeugte Nationalsozialistin. Sie behauptet, Heydrich bekehrt zu haben. Einige Indizien deuten darauf hin, dass sie die Wahrheit sagt, allerdings stand Heydrich schon vor 1930 politisch deutlich weiter rechts als der durchschnittliche Soldat und fühlte sich vom Nationalsozialismus stark angezogen. Aber natürlich hat die Version von der «Frau hinter den Kulissen» etwas Verführerischeres …
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Zweifellos ist es gewagt, den Moment bestimmen zu wollen, an dem der Lebensweg eines Menschen ins Wanken gerät. Ich weiß nicht einmal, ob solche Momente überhaupt existieren. In seinem Buch Adolf H. Zwei Leben geht Eric-Emmanuel Schmitt von der Überlegung aus, Hitler hätte die Aufnahmeprüfung an der Wiener Kunstakademie bestanden. Damit ändern sich schlagartig sein Schicksal und das der Welt: Hitler jagt jedem Abenteuer nach, mutiert zur Sexbestie, heiratet eine Jüdin, mit der er zwei oder drei Kinder bekommt, schließt sich den Pariser Surrealisten an und wird ein berühmter Maler. Deutschland gibt sich mit einem kleinen Krieg gegen Polen zufrieden, und das war’s. Kein Weltkrieg, kein Genozid und ein Hitler, der sich radikal von seiner wirklichen Person unterscheidet.
Aber lassen wir einmal alle fiktionalen Gedankenspiele außen vor; ich bezweifle, dass das Schicksal einer Nation und erst recht das der ganzen Welt jemals von einem einzigen Menschen abhängt. Gleichzeitig muss ich einräumen, dass eine derart unheilvolle Gestalt wie Hitler wohl kaum ein Äquivalent gefunden hätte. Und es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Aufnahmeprüfung für die Kunsthochschule von entscheidender Bedeutung für seinen individuellen Werdegang war, denn nach diesem Misserfolg zog Hitler als Bettler durch München und entwickelte einen tiefsitzenden, verhängnisvollen Groll gegenüber der Gesellschaft.
Müsste man einen solchen entscheidenden Augenblick in Heydrichs Leben bestimmen, so wäre dieser ohne Zweifel an jenem Tag im Jahr 1931 anzusiedeln, an dem er ein Mädchen mit zu sich nach Hause nahm, das, wie er glaubte, einfach nur eine weitere Eroberung war. Ohne dieses Mädchen wäre alles anders verlaufen, für Heydrich, Gabčik, Kubiš und Valčík sowie für Tausende Tschechen und vielleicht auch für Hunderttausende Juden. Ich werde nicht so weit gehen, ernsthaft anzunehmen, dass die Juden ohne Heydrich verschont geblieben wären. Doch die unheimliche Effizienz, die er während seiner gesamten Karriere bei den Nazis an den Tag legte, lässt vermuten, dass Hitler und Himmler ohne ihn ziemlich aufgeschmissen gewesen wären.
1931 ist Heydrich Oberleutnant zur See, ihm steht eine vielversprechende Karriere beim Militär bevor. Er ist mit einer jungen Aristokratin verlobt und steht auf der Sonnenseite des Lebens. Doch Heydrich ist auch ein unverbesserlicher Schwerenöter, der eine Frau nach der anderen erobert und im Bordell Stammgast ist. Eines Abends nimmt er ein junges Mädchen mit zu sich nach Hause, das er auf einem Tanzabend in Potsdam kennengelernt hat. Sie ist extra nach Kiel gekommen, um ihn zu besuchen. Ich weiß nicht genau, ob die junge Frau schwanger wurde, jedenfalls bestanden ihre Eltern auf einer Eheschließung als Wiedergutmachung. Heydrich wollte dem nicht Folge leisten, weil er bereits mit Lina von Osten verlobt war, deren Stammbaum ihm offenbar mehr zusagte; abgesehen davon schien er aufrichtig in Lina verliebt gewesen zu sein und nicht in das andere Mädchen. Unglücklicherweise war der Vater besagten Mädchens ein Freund von keinem Geringeren als Admiral Raeder, dem Chef der Marineleitung und Oberbefehlshaber der Kriegsmarine. Es gab einen Riesenskandal. Heydrich verstrickte sich in unglaubwürdige Erklärungen, mit denen sich zwar seine Verlobte zufriedengab, nicht jedoch das Militär. Er musste vor einen Ehrenrat der Marine treten, der Heydrichs Verhalten als ehrenwidrig ansah und ihn aus der Marine ausschloss.
1931, auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise, die Deutschland in die Knie zwingt, findet sich der junge Offizier, dem eine großartige Karriere bevorstand, ohne Arbeit wieder. Er ist nur noch einer von fünf Millionen Arbeitslosen.
Zu seinem Glück hat ihn seine Verlobte
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