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zerfetzten rechten Hintertür), um eine Reproduktion. Doch selbst, wenn es sich um eine Replik handelte, nehme ich an, dass man auf die richtige Farbe geachtet hat! Gut, sicherlich messe ich einem Element, das letztlich nur zum Bühnenbild gehört, eine übertriebene Bedeutung bei, das ist mir schon klar. Es scheint ein klassisches Syndrom unter Neurotikern zu sein. Wahrscheinlich habe ich eine Psychose. Aber lassen wir das.
Wenn Chacko schreibt: «Es gab verschiedene Zugänge zur Burg, doch Heydrich, der Showman, betrat sie immer durch den Haupteingang, wo die Wache stand», fasziniert mich seine ausgesprochene Sicherheit. Ich frage mich: «Woher weiß er das? Woher kann er sich dessen sicher sein ?»
Ein weiteres Beispiel. Es handelt sich um einen Dialog zwischen Gabčik und Heydrichs tschechischem Koch. Der Koch berichtet Gabčik, welchen Schutz Heydrich in seinem Privatdomizil genießt: «Heydrich verabscheut jede Art von Personenschutz, doch die SS-Männer nehmen ihre Arbeit ernst. Er ist eben ihr Chef, Sie verstehen. Sie behandeln ihn wie einen Gott. Er ist das Vorbild, dem sie alle nacheifern. Die blonde Bestie. So wurde er von seinen Bediensteten genannt. Sie werden die Deutschen erst verstehen, wenn Ihnen klar geworden ist, dass sie das als Kompliment verstanden.»
Chackos Kunst zeigt sich an dieser Stelle in seinem Geschick, eine historische Information – Heydrich wurde durchaus als blonde Bestie bezeichnet – in eine Aussage einzubetten, die an sich bereits durch ihre psychologische Finesse besticht und sich vom literarischen Punkt gesehen vor allem durch den Schlusssatz auszeichnet. Chackos Dialoge sind übrigens insgesamt brillant: Über sie lässt er die historischen Gegebenheiten in den Roman einfließen. Ich muss zugeben, dass mich einige Passagen wirklich begeistert haben, obwohl es mir eigentlich widerstrebt, einen derartigen Prozess anzuwenden. Und als Gabčík dem Koch, der ihm eine furchterregende Beschreibung von Heydrich gegeben hat, antwortet: «Machen Sie sich keine Sorgen, er ist ein menschliches Wesen. Es gibt ein Mittel, das zu beweisen», freue ich mich so unbändig wie sonst nur bei einem italienischen Western.
Nun gut, die Szenen, in denen er beschreibt, wie Gabčik sich mitten im Wohnzimmer einen blasen lässt oder wie sich Kubiš im Badezimmer einen runterholt, sind zweifellos erfunden. Ich weiß, dass Chacko nicht weiß, ob Gabčik sich einen blasen ließ oder, wenn es tatsächlich der Fall war, unter welchen Umständen, und schon gar nicht, wann und wo sich Kubiš einen runterholte: Derartigen Szenen wohnen schon per definitionem keine Zeugen bei – außer in ganz seltenen Fällen –, und Kubiš hatte keinen Grund, irgendjemandem von seinen Masturbationsspielchen zu berichten, und ein Tagebuch hinterließ er auch nicht. Doch der Autor erfasst perfekt die psychologische Dimension seines Romans, der reich an inneren Monologen ist, womit er sich zwar von der historischen Exaktheit entfernt, auf die er aber auch gar keinen Anspruch erhebt, denn das Buch beginnt mit dem Satz: «Jegliche Ähnlichkeit mit realen Ereignissen, Personen etc. ist reiner Zufall.» Chacko wollte also in erster Linie einen Roman schreiben, der durchaus sehr gut recherchiert ist, ohne sich zum Sklaven seiner Recherchen zu machen. Er stützt sich auf wahre Ereignisse, lässt so viele wie möglich in seinen Roman einfließen, dichtet aber auch freien Herzens hinzu, wenn es der Erzählung dienlich ist, ohne sich gezwungen zu sehen, der Geschichte Rechenschaft zu schulden. Ein leichtfüßiger Schummler. Ein Zauberkünstler. Ein Romancier eben.
Es stimmt schon, wenn ich die Fotos näher betrachte, kommen mir Zweifel bezüglich der Farbe. Die Ausstellung liegt mehrere Jahre zurück, vielleicht lässt mich mein Gedächtnis im Stich. Ich habe ihn dermaßen schwarz vor Augen, diesen Mercedes! Wahrscheinlich spielt mir meine Einbildung einen Streich. Der Moment ist gekommen, ich muss mich entscheiden. Oder es überprüfen. So oder so.
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Ich habe Natacha wegen des Mercedes gefragt. Sie hatte ihn ebenfalls schwarz vor Augen.
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Je mehr sich Heydrichs Macht ausweitet, desto mehr benimmt er sich wie Hitler. Mittlerweile drängt er seinen Kollaborateuren langatmige flammende Reden über das Schicksal der Welt auf. Frank, Eichmann, Böhme, Müller und Schellenberg lauschen brav den wahnwitzigen Ausschweifungen ihres Vorgesetzten, der über eine Weltkarte gebeugt dröhnt:
Skandinavier, Flamen, Holländer
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