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werde von sexuellen Beziehungen solcher Arbeiter zu deutschen Frauen erzählt. Es bestehe zunehmend die Gefahr einer biologischen Schwächung. Es gebe immer mehr Beschwerden über junge Frauen deutschen Blutes, die sentimentale Beziehungen zu tschechischen Arbeitern unterhielten.
Ich nehme an, dass Heydrich bei der Lektüre dieses Berichts schmollte. Ihn hat es niemals gestört, wenn sich jemand mit einer Ausländerin im Bett vergnügte. Doch dass sich die rolligen Arierinnen von diesen «Untermenschen» begatten lassen wollen, widert ihn mit Sicherheit an und ist ein weiterer Grund für seine generelle Abneigung Frauen gegenüber. Er ist sich sicher, dass Lina niemals etwas Derartiges täte, nicht einmal, um sich für seine Untreue zu rächen: Lina ist eine waschechte Deutsche, reinen Blutes, adligen Blutes, die sich eher umbrächte, als mit einem Juden, einem Neger, einem Slawen, einem Araber oder einem sonstigen Vertreter einer niederen Rasse zu schlafen. Nicht wie diese läufigen Hündinnen, die es nicht verdient haben, Deutsche zu sein. Er wird sie alle ins Bordell schicken oder, noch besser, in arische Erziehungslager; Zuchtgestüte, in denen die jungen blonden Frauen warten, bis ein Deckhengst der SS sie begattet. Und wehe, sie beschweren sich darüber.
Ich frage mich, wie die Nazis ihre Doktrin mit der Schönheit der Slawen vereinbarten: Nicht nur, dass man in Osteuropa die schönsten Frauen des Kontinents findet, sie sind zudem häufig blond und haben blaue Augen. Übrigens schien sich Goebbels während seiner Liaison mit Lida Baarová, der wunderschönen tschechischen Schauspielerin, keine Gedanken über ihre Reinrassigkeit gemacht zu haben. Zweifellos dachte er, dass ihre umwerfende Schönheit sie zur Germanisierung befähigte. Wenn man das degenerierte Äußere der meisten nationalsozialistischen Spitzenfunktionäre betrachtet – Goebbels mit seinem Klumpfuß ist das beste Beispiel –, kann man beim Gedanken an die Furcht vor der Schwächung der Rasse, die sie so sehr beschäftigte, eigentlich nur lachen. Heydrich ist natürlich eine andere Geschichte. Er ist kein kleiner dunkelhaariger Knirps, und sein Äußeres ist das Aushängeschild für den wahren Germanen. Glaubte er tatsächlich daran? Ich denke schon. Wir sind geneigt, zu glauben, was uns schmeichelt und uns passt. Ich denke an Paul Newmans Aussage: «Ohne meine blauen Augen hätte ich nie eine solche Karriere gemacht.» Ich frage mich, ob Heydrich dasselbe dachte.
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Einmal mehr bin ich zufällig über eine fiktive Geschichte zum Thema Heydrich gestolpert. Diesmal handelt es sich um einen Fernsehfilm, Vaterland , nach dem gleichnamigen Roman von Robert Harris. Die Hauptrolle spielt der Holländer Rutger Hauer, unsterblich durch seine Rolle als Replikant in Blade Runner von Ridley Scott. In diesem Film spielt er einen SS-Kommandanten der Kripo.
Die Geschichte spielt in den sechziger Jahren. In Deutschland regiert immer noch der Führer. Berlin wurde nach den Plänen Albert Speers wiederaufgebaut; die Stadt vereint Barock, Jugendstil, faschistische Repräsentationsarchitektur und Futuristik. Der Krieg mit Russland dauert an, das restliche Europa befindet sich unter der Herrschaft des Dritten Reiches. Trotzdem herrscht in den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten Tauwetter. In den kommenden Tagen soll Kennedy Hitler treffen, um ein historisches Abkommen zu unterzeichnen. Innerhalb der Fiktion dieses Films wurde aber der Vater, Joseph Patrick, zum Präsidenten erwählt und nicht der Sohn, John Fitzgerald. Nun, JFKs Vater verhüllte seine Sympathien gegenüber den Nationalsozialisten nie. Der Film basiert also auf dem Prinzip «Was wäre, wenn …?». Auf der Grundlage einer Hypothese konstruiert er eine historische Alternative, in diesem Fall den Fortbestand des Hitlerregimes. So etwas nennt man eine Uchronie.
Im vorliegenden Fall entsteht daraus eine Polizeiintrige: Einige Nazi-Spitzenfunktionäre werden auf mysteriöse Weise ermordet. Mit Hilfe einer amerikanischen Journalistin, die über Kennedys Besuch berichten wird, entdeckt der SS-Inspektor, gespielt von Rutger Hauer, die Verbindung zwischen den Mordfällen: Bühler, Stuckart, Luther, Neumann, Lange … nahmen alle an einer geheimnisvollen Versammlung teil, die zwanzig Jahre zuvor, im Januar 1942, stattfand. Sie wurde von Heydrich persönlich am Wannsee organisiert. In den sechziger Jahren wurde Heydrich zum Minister ernannt und ersetzt Göring als Reichsmarschall. Er ist somit
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