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unangenehme Szene wurde ihm die Notwendigkeit bewusst, eine Lösung zu finden, die weniger an den Nerven der Erschießungskommandos zerrt, um die Ausrottung der Juden und anderer «Untermenschen» fortzuführen.
Wenn ich meinen Unterlagen glauben darf, trifft das Ende der Exekution mit einem ähnlichen Aha-Erlebnis bei Heydrich zusammen, als er eines Tages in Begleitung seines Untergebenen «Gestapo-Müller» auf Inspektionsbesuch ist.
Die Einsatzgruppen gehen immer mehr oder weniger nach der gleichen Weise vor: Sie lassen einen gigantischen Graben ausheben, treiben Hunderte, sogar Tausende Juden oder mutmaßliche Regimegegner aus den umliegenden Städten und Dörfern zusammen, reihen sie am Rand der Grube auf und metzeln sie mit Maschinengewehren nieder. Manchmal müssen sich ihre Opfer auch hinknien und bekommen einen Genickschuss. In der Regel machen sie sich nicht einmal die Mühe nachzuprüfen, ob auch alle tatsächlich tot sind, und einige werden lebendig begraben. Wenige davon überlebten; im Schutz eines Kadavers warteten sie, selbst mehr tot als lebendig, bis die Nacht hereinbrach, und gruben sich durch die Erde, unter der sie verschüttet waren, an die Oberfläche (doch diese Fälle blieben wundersame Ausnahmen). Es gab viele Zeugen, die das Spektakel der übereinandergestapelten Leichname beschrieben haben: eine wogende Masse, aus der die Schreie und Klagelaute der Sterbenden hervordrangen. Insgesamt vernichteten die Einsatzgruppen mit dieser primitiven Methode ungefähr eineinhalb Millionen Menschen, Juden und andere, doch überwiegend Juden.
Heydrich nahm an mehreren dieser Exekutionen teil; mal in Begleitung von Himmler, mal von Eichmann, mal von Müller. Bei einer davon drückte ihm eine junge Frau ihr Baby in die Arme, damit er es rette. Mutter und Kind wurden direkt vor seiner Nase niedergeschossen. Heydrich, noch gefühlskälter als Himmler, fiel nicht in Ohnmacht. Trotzdem wurde ihm die Grausamkeit der Szene bewusst, und er fragte sich, ob eine derartige Exekutionsmethode weiterzuverfolgen sei. Wie Himmler beunruhigten ihn die fatalen Auswirkungen auf die Moral und die Nerven seiner wertvollen SS-Männer. Während er darüber nachsann, griff er zur Feldflasche und genehmigte sich einen kräftigen Schluck S livovice , einen extrem starken tschechischen Pflaumenschnaps. Unter den Tschechen ist der Schnaps nicht besonders beliebt. Doch der trinkfeste Heydrich muss, seit er in Prag wohnt, auf den Geschmack gekommen sein.
Trotzdem brauchte er eine ganze Weile, bis er zu dem Entschluss kam, dass seine Einsatzgruppen nicht unbedingt die ideale Lösung für die «Judenfrage» waren. Während seiner ersten Inspektion mit Himmler in Minsk im Juli 1941, zu der sich die beiden Männer im Spezialzug des Reichsführers begeben hatten, hatte Heydrich, so wie sein Vorgesetzter, nichts an der Metzelei, der er beiwohnte, auszusetzen. Sie würden beide noch mehrere Monate brauchen, um zu verstehen, dass ein solches Procedere dem Nationalsozialismus und Deutschland als pure Barbarei angelastet werden und den Zorn der nachkommenden Generationen auf das Dritte Reich heraufbeschwören könnte. Es musste etwas getan werden, damit es nicht so weit kam. Und um es mit der Effektivität der bisherigen Tötungsmaschinerie aufnehmen zu können, gab es für sie nur ein Heilmittel: Auschwitz.
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Erstaunlicherweise stieg während dieser düsteren, dieser grauenhaften Periode die Zahl tschechischer Hochzeiten unaufhörlich an. Dafür gab es einen Grund. Zur Zwangsarbeit wurden Anfang 1942 nur ledige Männer eingezogen. Mit einem Mal gibt es einen deutlichen Anstieg tschechischer Bürger, die im Eilverfahren die Ehe schließen. Doch natürlich entgeht das den Adleraugen von Heydrichs Sicherheitsdiensten nicht. Also wird beschlossen, dass alle männlichen tschechischen Bürger, ohne jegliche Einschränkung, zur Zwangsarbeit herangezogen werden. Zehntausende tschechische Arbeiter, verheiratet oder nicht, werden in die vier Ecken des Reiches geschickt und überall dort eingesetzt, wo Bedarf besteht, also überall denn die Wehrmacht verschlingt millionenfach deutsche Arbeiter. Die tschechischen Arbeiter treffen auf Polen, Belgier, Dänen, Holländer, Norweger, Franzosen und andere.
Diese Politik bleibt übrigens nicht ohne unerwünschte Folgen. In einem der zahlreichen Berichte des RSHA, die auf Heydrichs Schreibtisch landen, ist zu lesen, in den Gebieten des Reiches, in denen Millionen nichtdeutsche Arbeiter beschäftigt sind,
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