Hi, Society
fand man ihn erschossen in seiner Wohnung am Kohlmarkt. Also wenn ich Anwalt wäre, dann müsste ich mich aber auch erschießen!
Die ganzen Paragraphen und Zahlen machen einen ja echt irre. Ich nenne das Numeraliaphobie. Also eine Angststörung, die sich auf Zahlen bezieht und unter welcher ich quasi schon seit Jahren leide. Ich bin nicht sicher, wer mir das vererbt hat, aber dafür weiß ich mit Sicherheit, dass das die nächste Trenderkrankung ist, die nächste Supernova im Bereich der Angststörungen.
Also ich habe natürlich ein wenig recherchiert und da bin ich zu dem interessanten Ergebnis gekommen, dass wohl ein nicht zu unterschätzender Teil der Bevölkerung davon betroffen sein muss. Überraschenderweise scheinen Frauen häufiger daran zu leiden als Männer, was womöglich etwas mit den Hormonen zu tun haben könnte. Aber das ist noch etwas hypothetisch, also bleiben wir besser bei den Fakten, die da wären: Allen weiblichen Betroffenen scheint gemeinsam, dass sie übermäßig starke Ängste haben, gewissermaßen in Panik geraten bis hin zur völligen Amnesie, insbesondere wenn sie mit einer der folgenden Zahlen konfrontiert werden – ich nenne sie auch die traumatisierenden K’s, die da wären:
Körpergewicht
Kontostand
Kombination einer Zahl mit Minus und Prozent (häufig anzutreffen im Ausverkauf auf Preisschildern)
Kleidergröße
Kaloriengehalt von Kuchen
Alter (Leider fängt Alter nicht mit K an. Dafür muss ich mir noch was überlegen.)
Dabei erkennen die Betroffenen zeitweise nicht, dass ihre Angst übermäßig oder unbegründet ist. Im Gegenteil, die Panik vor der Zahl führt im Körper zu einer erhöhten Adrenalin-Ausschüttung und einer blitzschnellen Kampf-/Fluchtreaktion, was häufig zum übersteigerten Verzehr von Schokolade oder sonstiger Genussmittel führt und die traumatisierenden K’s erneut steigert. Interessanterweise scheint diese Regel in Zusammenhang mit Jahrestagen wie Verlobung, Hochzeit, Weihnachten, Valentinstag nicht zu gelten. Es ist vielmehr eine panische Euphorie im Zusammenhang mit diesen Festzahlen zu beobachten, wohingegen die Panik an jenen Tagen in einer Art Übertragungseffekt in hohem Maße auf die männlichen Probanden überzugehen scheint.
Hoppala, was ist denn das? Ich greife nach den eben zu Boden gefallenen losen Zetteln und begutachte sie näher. Rechnungen. Vom Dorotheum. Na bitte, also bin ich nicht die Einzige, die in wertstabile Dinge investiert. Wow, das sind aber eine ganze Menge loser Diamanten, die Madame loses Mundwerk da ersteigert hat. Das muss ich definitiv gleich Erik erzählen, wenn ich nach Hause komme, denke ich, während ich die Zettel zurückstecke und eben die letzten Bücher aus dem Regal nehmen will, als mich ein leises Knacken augenblicklich zusammenzucken lässt.
Die Tür!
Ach herrje!
Ich springe auf, schnappe meine Tasche und zische hinüber ins Schlafzimmer. Ich kann gerade noch die Tür zuziehen, als auch schon Schritte am Parkettboden klacken.
»Such oben. Ich bleib hier.«
Das war russisch, oder? Es scheinen zwei zu sein. Ich kauere mich hinter die Tür und halte die Luft an.
» Ладно .«
Einer geht die Treppe rauf.
Oh mein Gott! Was mache ich denn jetzt bloß?
Ich kralle mich verzweifelt an meiner Tod’s-Tasche fest und getraue mich kaum zu atmen. Was soll ich denn jetzt bloß tun? Ich kann keinen einzigen klaren Gedanken fassen. Ich kann nur eines denken, dass die bestimmt nicht zur Kaffeejause vorbeigekommen sind. Die suchen was und bestimmt sind sie nicht erfreut, wenn ich es bin, die sie finden.
»Du musst dich verstecken!«, dringt eine Stimme aus dem hintersten Teil meines Gehirns zu mir durch, während draußen Maries Wohnung hörbar in ihre Einzelteile zerlegt wird.
» Где вы фишка ?«
Ob das der Jugendstil-Bilderrahmen war?
Klirr!
Oh nein, nicht auch noch die schöne Baccarat-Vase.
Diese Verbrecher!
Wo war ich stehen geblieben?
Verstecken.
Genau. Das Bett! Gute Idee!
Oder, vielleicht doch nicht so gut? Mensch ist das eng. Ich schiebe stärker, versuche mich rein zu quetschen, aber … nein, es geht nicht. Keine Chance. Da pass ich nie im Leben rein und meine Tod ähm Tod’s schon gar nicht. Wenn das mal kein Freud’scher Versprecher war. Oh, Gott! Ich glaube, ich werde gleich ohnmächtig.
In Nanogeschwindigkeit scanne ich den Raum auf ein mögliches Versteck und entdecke eine weitere Tür. Auf Zehenspitzen sprinte ich hinüber und bete zu Gott, dass sich dahinter
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