Hi, Society
eine Art Geheimausgang befände, während die Russen vor der Tür Maries Bücherregal auseinandernehmen.
Na bitte! Zwar kein Geheimausgang, aber immerhin das Ankleidezimmer, und wenn ich mir schon einen Ort zum Sterben aussuchen muss, dann finde ich die Umgebung von Chanel Couture gar nicht mal so schlecht. Wow! Hier würde ich gern einen Nachmittag zubringen und mich ein wenig durchprobieren.
Hoppala. Was passiert denn jetzt?
Da wollte ich doch bloß kurz den glänzenden Chiffon von diesem Kleid berühren und jetzt hab ich da irgendwas in Gang gesetzt. Herrje! Ich bete, dass man das Geräusch draußen nicht hören kann, während sich das ganze Schrankelement samt seiner herrlichen Kleider in Zeitlupe nach rechts dreht. Es dreht sich praktisch einmal um die eigene Achse und …
Wow!
Das ist ja vielleicht cool!
Direkt dahinter ist ein schmaler Gang. Genau da, wo vorher noch der Kasten stand und eine Tür aus Milchglas.
Also das nenne ich mal gelungenes Interieurdesign! Was sich wohl dahinter verbirgt? Nicht, dass ich am Ende direkt im Wohnzimmer bei Vladimir und Vitali wieder rauskomme.
Ich zögere einen Moment. Dann drücke ich vorsichtig dagegen und im nächsten Moment …
Na so was!
Der Schuhschrank?
Wahnsinn! Der Innenarchitekt ist ein Genie!
Das ist wie ein geheimer Safe für Schuhe.
Ich bin so begeistert, dass ich angesichts der unzähligen wunderschönen Schuhe, die mir aus den Regalen wie buntes Konfekt entgegen strahlen, beinahe vergesse, warum ich hier bin. Ich meine, sehen Sie bloß diese entzückenden Pünktchen-Peeptoes und … sind das Pfauenfedern auf den lila Satin-Heels? Und die Prada-Pumps aus der aktuellen Frühjahrskollektion mit den Flammenabsätzen. Ich greife eben neugierig danach, als es auf einmal laut knackt. Reflexartig zucke ich zusammen.
Stille.
Draußen ist nichts zu hören.
Ob sie noch da sind?
Aufgeregt wirble ich herum. Ich muss versuchen, den Schrank zu schließen. Ich bin so beschäftigt, einen Hebel oder Knopf zu finden, welcher den Mechanismus erneut in Gang setzt, dass ich es kaum wahrnehme. Ein leises Kitzeln in meiner Nase. Und auf einmal, ohne jegliche Vorwarnung, ist er da. Ein ohrenbetäubender Knall. So laut, dass mir vor Schreck das Herz stehen bleibt.
KAPITEL 7
»I
ch möchte die nächste halbe Stunde nicht gestört werden.«
Stephan Meinhofs Sekretärin, eine farblose Erscheinung mit grauem Haarknoten und weißer Bluse, nickte.
»Sehr wohl, Herr Minister«, fügte sie versichernd hinzu, während er hastig die hohe weiße Tür zu seinem Büro verschloss. Er ging hinüber zu seinem Schreibtisch, eine aufwändige Stahl- und Glaskonstruktion, welche einen gelungenen Kontrast zum alten Sternparkett und den antiken Aktenschränken bot. Aufgeregt schob er die Berge an Unterlagen, Berichten für die Bundesregierung, Petitionen und Gesetzesentwürfen, die er heute noch abzuarbeiten hatte, ein Stück weit zur Seite und legte sorgsam die mitgebrachte Mappe aus schwarzem Leder darauf ab. Seine Hände zitterten vor Erleichterung, als er die losen Blätter hervorzog und sie erneut zu lesen begann. Es war alles da. Die gesamten Aufzeichnungen des Interviews.
Bisher hatte er sie nur kurz überflogen, doch jetzt war er sicher, der Russe hatte sein Versprechen gehalten. Ein zweifelhaft teures Versprechen. Teurer, als sein Budget vertragen konnte. Aus dem Ringstraßenpalais gegenüber dem Kunsthistorischen Museum, das sich Claire so sehr wünschte, würde nun wohl nichts mehr werden. Obgleich es noch den Stiftungsfonds seiner Familie gab, aus dem er sich vermutlich ein weiteres Mal bedienen konnte. Immerhin zählten die Melnhofs nicht zu der Riege der armen Adeligen. Über eine Urururgroßtante waren sie direkt mit dem ehemaligen Habsburgerischen Kaiserhaus verschwägert, besaßen Villen, Herrenhäuser und mehrere Schlösser, waren Grundeigentümer der größten Forstflächen vom Wiener bis zum Bregenzer Wald und sie waren Unternehmer. Erfolgreiche Unternehmer. Vermutlich war auch das einer der Gründe gewesen, weshalb Stephan Melnhof sich einst für eine Politkarriere entschied. Er hatte das Regieren gewissermaßen im Blut. Von jeher waren die Melnhofs Berater des Kaiserhauses. Sie waren Obersthofkanzler, Ministerpräsidenten, Hofkammerpräsidenten, Staatssekretäre und Feldmarschälle. Die Politik lag ihnen im Blut. Doch verdienen ließ sich in der Politik wenig, zumindest solange man auf den legalen Wegen blieb. Das hatte Stephan Melnhof schnell
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