Hibiskusblüten
vollständig. Keine Frau brachte es fertig, die grenzenlose Angst um ihr Kind so echt zu spielen! Mary-Ann wußte nicht, wo Eve sein konnte, und sie war halb verrückt vor Sorge.
„Haben Sie sich öfter mit Dinah getroffen?“ fragte ich.
Sie zögerte eine Sekunde.
„Sehr — selten“, sagte sie.
„Und trotzdem brachten Sie Eve dorthin?“
„Wir waren ja nicht böse miteinander“, sagte sie, „ich hatte sie vorher angerufen und gesagt, daß ich käme. Und dann bin ich mit Eve hingefahren. Eve war draußen, während ich Dinah alles erzählte. Und Dinah war sofort einverstanden, Eve für einige Zeit zu behalten.“
„Was haben Sie Dinah erzählt?“
„Mein Gott, ich weiß nicht mehr so genau. Ich sagte ihr, daß Onkel Joshua nun auch an Lungenentzündung erkrankt sei, und daß mir das unheimlich vorkomme, und daß ich einfach Angst habe. Und nun — und nun — ist Eve — Eve...“
Sie fuhr an den rechten Straßenrand und hielt. Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte.
Ich stieg aus und öffnete die Tür auf ihrer Seite.
„Lassen Sie mich woandershin fahren“, sagte ich, „ich möchte nicht von Neugierigen beobachtet werden.“
Sie rutschte auf den Nebensitz, und ich fuhr den Wagen in eine ruhige Straße.
„Wem leihen Sie Ihren Wagen?“ wollte ich wissen.
Sie erschrak sichtlich.
„Wieso — wie meinen Sie das — ich leihe ihn niemandem.“
„Wirklich nicht, Mrs. Buttom? Denken Sie genau nach, es geht um Eve! Wer könnte ihn sich hin und wieder genommen haben?“
„Ich — ich weiß es nicht. Warum?“
„Dinah bekam gelegentlich Besuch von jemandem, der einen grünen Packard fuhr. Waren Sie das?“
„Wahrscheinlich“, sagte sie tonlos. Sie wollte etwas verheimlichen, das war klar.
„Es wurde aber auch ein Mann in diesem Wagen gesehen“, bohrte ich weiter, „und wenn die Polizei das herausbringt, könnten Sie Scherereien haben.“
Sie blickte mich groß und verständnislos an.
„Ich? Aber ich habe doch...“
„Das ist der Polizei dann egal“, sagte ich, „sie hält alles fest, was sie zu fassen kriegt, und das ist nun einmal ein grüner Packard. Wer ist der Mann, der ihn manchmal fährt?“
Wieder verbarg sie ihr Gesicht in den Händen.
„Ich — ich weiß es doch nicht“, stöhnte sie.
„Könnte es McFellow sein?“ fragte ich.
„Ja“, sagte sie. Es klang fast erleichtert. „Er hat ihn sich ab und zu geliehen. Ich dachte nicht gleich daran.“
„Warum? Hat er keinen eigenen Wagen?“
„Doch, aber der ist häufig in Reparatur.“
„Und da hat er Ihren genommen?“
„Ja. Aber was soll ich denn jetzt tun? Ich muß doch irgend etwas unternehmen, um Eve...“
„Sie können gar nichts unternehmen, Mrs. Buttom. Sie können mir nur die Wahrheit sagen. Wer wußte noch davon, daß Sie Dinah besuchen?“
„Ich — ich weiß — nicht. Niemand.“
„Sie sollten mir wirklich die Wahrheit sagen.“
Sie gab keine Antwort. Nach einer Weile fuhr ich fort:
„Sie können nichts unternehmen. Die Polizei wird zu Ihnen kommen wegen Dinah. Und dann sagen Sie ihr bitte auf keinen Fall, daß Sie gestern, nein vorgestern abend, bei ihr waren. Sagen Sie auch nicht, daß Sie bei mir waren. Erklären Sie, Ihr Onkel hätte mit mir verhandelt, aber sie wüßten nicht, weshalb. Sonst erzählen Sie der Polizei natürlich alles so, wie es war. Sie müssen sich zusammenreißen und ein wenig schauspielern. Sie müssen so tun, als würden Sie von Eves Verschwinden erst durch die Nachricht der Polizei etwas erfahren. Werden Sie das können?“
„Ich will’s versuchen.“
„Erwähnen Sie die Hibiskusblüten genauso wenig wie Ihre dunklen Vorahnungen. Natürlich ist das nur ein Rat; ich will Sie nicht beeinflussen. Sie müssen frei entscheiden, vor allem darüber, ob Sie soviel Zutrauen zu mir haben. Ich werde Eve suchen.“
Sie fing wieder an zu schluchzen.
„Eve“, flüsterte sie, „das arme Kind! Oh, Eve...“
„Sie brauchen zunächst keine Angst um sie zu haben“, tröstete ich sie. „Soweit ich das beurteilen kann, wird eine Erpressung draus. Man wird sich wahrscheinlich wegen eines Lösegeldes an Sie wenden, und dazu braucht man eine gesunde, lebendige Eve. Sollte dies der Fall sein, dann sagen Sie mir bitte sofort Bescheid — ehe Sie es der Polizei sagen.“
Sie versprach mir, so zu handeln, wie ich es ihr gesagt hatte. Ich war aber nicht sicher, ob sie es in ihrem Zustand durchhalten würde.
Ich fuhr zum Krankenhaus zurück.
„Wie geht es denn Ihrem
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