Hidden Moon
Zum Vernichter.
Diese Frau - dieses Mischwesen - trug selbst die Schuld für das, was nun geschah. Sie hatte ihm seinen Anker auf dieser Seite des Lebens geraubt, seinen einzigen Halt, den Adler .
Ein kreischender Schrei brach aus seinem Schnabel. Anklage und Urteil in einem. Und ... Vollzug!
Er erreichte Lilith, die ihn wie ein Fels in der Brandung erwartete und sich nicht in jene Gestalt floh, in der sie ihm hätte unterliegen müssen.
Adler gegen Fledermaus . Der Sieger wäre vorprogrammiert gewesen. Aber sie entschied sich für etwas, was ihm - wie sie glauben mochte - Paroli bieten konnte. Noch während er die Distanz in rasendem Flug überbrückte, bemerkte er, wie sie wuchs.
Es mochten alles in allem nur Zentimeter sein, aber Fakt blieb, daß sich ihre Konturen verschoben. So war es immer, wenn ein Vampir die menschliche Tarnung abwarf - wenn er in die Metamorphose ging und seine Hülle zum Spiegelbild tiefster Begierden verkommen ließ ...
Auch sie hat ihre Abgründe, dachte er noch.
Dann bohrten sich seine Krallen auch schon in ihre Schultern und hieben seine knochigen Flügel auf ihren Kopf ein, während seine hornigen Klauen sich um ihr Schlüsselbein klammerten.
Aber dann .
... bekam der Adler, der Wyando war, ihre Wehrhaftigkeit zu spüren.
Sie war nicht das Lamm, das er sich wünschte. Sie hatte ebenfalls Klauen und Zähne - und einen Dämon im Leib, dem seinen mindestens ebenbürtig.
Liliths Fäuste schlossen sich um die Beine des Adlers, unmittelbar über dem Klauenansatz. Sie versuchte die gekrümmten Krallen aus ihrem Fleisch zu reißen - und als sie scheiterte, besann sie sich auf andere Möglichkeiten. Ungeachtet der Schläge, die ihr die Flügel zufügten, und der heimtückischen Dolchstöße des niederhackenden Schnabels biß sie zu!
In die weiche, ungeschützte Bauchseite des Adlers. In den Flaum, der sie ... (Nein, in dieser Situation erinnerte er sie an nichts!)
Die peitschenden Flügel, deren Spannweite aus der Nähe noch unglaublicher wirkte, hielten einen Sekundenbruchteil inne, als Lilith Zähne zuschnappen wollten.
Im nächsten Moment wurde Lilith vom Gewicht eines veränderten Feindes zu Boden geworfen. Hidden Moon hatte gedankenschnell auf ihren Versuch reagiert, ihm den Keim in die Blutbahn zu säen.
Den Keim, der Vampire zu devoten Schlachtopfern degradierte .!
So änderte Hidden Moon seine Strategie bereits, kaum daß der Kampf richtig begonnen hatte!
Lilith kümmerte sich nicht um ihre klaffende Schulterwunde. Ihr Körper half sich selbst; er brauchte dafür keine besondere Beachtung.
Über ihr klafften Wyandos Kiefer. Seine Hände hatten sich in ihrer wilden Haarmähne verfangen und bemühten sich, sie daran zu hindern, ihre Zähne in seine glatte Haut zu bohren.
Lilith verfuhr mit ihm genauso.
Fauchend wälzten sie sich über den Boden, über Laub und Gehölz und manchen Tierkadaver.
»Du kannst nicht gewinnen!« fauchte Wyando. »Du glaubst, ein Vampir zu sein, doch es mangelt es dir an der letzten Bereitschaft, dich der Kraft ganz hinzugeben! Aber nur so könntest du mich besiegen .«
Sie lachte bitter, während sie ihr Ringen fortsetzten. Hidden Moon schaffte es irgendwie, einen Fuß auf ihre Brust zu setzen, als sie über ihm lag - und dann katapultierte er sie aufbrüllend von sich.
Es war ein solcher Ausbruch von Kraft, daß Lilith eine kleine Ewigkeit haltlos durch die Luft zu rudern glaubte, ehe sie mit dem Kopf gegen den Stamm eines nahen Baumes krachte. So unglücklich, daß sie sekundenlang benommen liegenblieb. Seiner Willkür ausgeliefert. Unfähig, auch nur zu begreifen, daß er bereits wieder auf sie zuflog. Daß seine Hände einen herumliegenden Ast ergriffen, in der Mitte entzweibrachen und die spitzere Hälfte auf ihr Herz setzten.
»Fahr zur Hölle!« keuchte das Indianerkind, das vor dreihundert Jahren verwandelt aus dem Totenreich zurückgekehrt war.
Aber dann verhinderte ausgerechnet jenes damals gestorbene
Kind, daß der Pfahl Liliths Leben zerstörte!
*
Wyando weinte wieder schwarze Tränen, die auf Lilith herabfielen, durch die Poren ihrer Haut sickerten .
... und sie erwachen ließen!
Sie schlug das Holz beiseite - es flog in hohem Bogen davon. Aber schon während ihr Arm dem inneren Überlebensreflex Folge leistete, wußte ihr Verstand, daß sie ihr Leben nur einem einzigen Umstand verdankte: Wyandos Gnade.
Es war nicht mehr Wyando, der über ihr kauerte und den Pflock ohne Bedenken durch ihre Rippen hindurch getrieben
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