Hidden Moon
ich nichts mehr entgegensetzen kann, und wohin er mich reißt, darüber gibt es keine Zweifel ...!«
»Du gibst auf?«
»Mit jedem Adler, den ich rief, der mir vertraute und dies mit dem Leben bezahlte, habe ich es klarer begriffen: Ich bin nicht mehr der, der ich war. Ich habe meine Fähigkeit, spirituell mit den Adlern zu verschmelzen, verloren! Das ist eine Tatsache, die kein anderer klarer einschätzen kann als ich - also versuche erst gar nicht, mir etwas anderes einreden zu wollen!«
»Du irrst dich«, gab Lilith ungerührt zurück. »Wenn alles so liefe, wie du glaubst, wärst du nicht davor zurückgeschreckt, mich zu pfählen!«
»Gut und Böse streiten noch in mir ...«
»Genau! Und nur wenn du aufgibst, hat das Böse endgültig gewonnen!«
Er verzog das Gesicht. »Du mußt verrückt sein, das riskieren zu wollen. Du wirst die erste sein, die für ihren Irrtum bezahlen muß! Warum tust du das?«
Ja, dachte Lilith, warum?
»Du bist genauso gefährdet wie ich«, sagte sie laut. »Wenn ich nicht bald einen deines Blutes finde und meinen Auftrag an ihm vollziehe - ihn töte und aus ihm trinke -, werde ich wohl noch vor dir in die Ewigen Jagdgründe eingehen ...!«
»Ich wiederhole: Du bist verrückt!«
Nach dir, dachte sie. Gott, ich will es nicht - es ist einfach stärker als ich ... Ich muß meinen Verstand irgendwo vergraben haben!
Aber war es nicht immer so, sobald diese Narrheit namens Liebe ins Spiel kam .?
*
3. April, unterwegs
Hidden Moon hatte einen Traum. In diesem Traum war er wieder mit seinem Seelenvogel vereint - eine Begegnung mit der Frau, die das Tier getötet hatte, schien es nie gegeben zu haben. Gemeinsam zogen der Adler und er durch das Land seiner Väter. An den Stamm, in dessen Gemeinschaft er so lange gelebt hatte, erinnerte er sich wie an ein entferntes Kindheitserlebnis. Jetzt gab es nur sie beide, und niemand schrieb ihnen vor, wohin sie zu gehen hatten. Hid-den Moon war glücklich - vielleicht glücklicher als je zuvor in seinem Leben .
Eine Hand weckte ihn. Sie tastete über seine Brust, und Liliths Stimme flüsterte: »Schläfst du?«
Seltsamerweise zerstörte ihre Frage die Harmonie des Traumes nicht. Es gab keinerlei Bruch zwischen dem, was er sich nur im Geheimen gewünscht hatte, und dem, was war.
»Nein«, sagte er.
»Ich wollte dir etwas sagen.« Sie rückte näher an Hidden Moon heran. Viel näher waren sie sich noch nicht gekommen.
»Und was?«
»Daß ich es nicht bereut habe.«
Er wußte sofort, wovon sie sprach. Dennoch wiegelte er ab: »Fühl dich nur nicht zu sicher!«
Ihre Hand glitt ein wenig tiefer. Zu seinem Nabel.
»Wir sind jetzt den fünften Tag unterwegs«, sagte sie, »und ich habe keine negative Veränderung mehr an dir bemerkt. Ganz im Gegensatz zu mir.« Erst als sie kurz schwieg, spürte er ihre Hitze. Ihre Glut, die ihn an den Tag erinnerte, als er ihr sein Blut aus einem Becher zu trinken gegeben hatte.
»Wir können es noch einmal versuchen«, sagte er. »Ich halte meinen Arm über deinen Mund, und du versuchst zu vergessen, wer ich bin .«
»Nein!«
»Nein?«
»Ich könnte für nichts mehr garantieren - und so kurz vor dem Ziel wäre es ein unnötiges Risiko, den Bogen zu überspannen. Morgen, gegen Abend, werden wir Osceola erreichen.«
»So kurz vor dem Ziel ...«, echote er. »Ich habe es dir von Anfang an gesagt: Ich kann dir nicht die Garantie geben, daß er noch da ist. Es war ein Gerücht, das uns vor einigen Jahren zugetragen wurde. Und da dreihundert Meilen ziemlich nahe sind, interessierte uns die Legende kurze Zeit - aber nie so sehr, als daß einer von uns aufgebrochen wäre, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.«
»Ich weiß.« Er spürte ihre Lippen auf seinem Arm. Sie waren weich und warm und saugten spielerisch an ihm. »Das hast du mir gesagt .«
In ihrer Stimme knisterte alles, was ein Mann sich von einer Frau nur wünschen konnte. Und neben allem anderen waren sie nicht zuletzt schließlich auch das: Mann und Frau ...
*
Sie fielen übereinander her - völlig ausgehungert, was Zärtlichkeit angmg.
Sie hatten es beide schon lange gewollt, aber irgendwie immer den richtigen Zeitpunkt verpaßt. Jetzt aber, in einem namenlosen Motel an einer namenlosen Straße, stimmte die Konstellation, paßte alles zusammen, um sämtliche Hemmungen, Bedenken und Sorgen abzustreifen!
Hidden Moons Küsse schmeckten herb wie Tabakrauch. Lilith ließ sich völlig fallen, kaum daß ihre Lippen miteinander verschmolzen und
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