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dass ich nicht mal genug Kraft aufbringen konnte zu schreien.
»Verständige Will«, sagte Dani.
»Du kannst dir doch vorstellen, was er …«, setzte Sam an.
»Ruf ihn an!« Sie presste ihr Gesicht an meine Brust. Ich konnte ihren Atem an meinem Hals spüren. Das tat gut, es erdete mich. »Alles wird gut. Das verspreche ich dir. Onkel Will kümmert sich um dich.«
Und Nick? Wer kümmerte sich um Nick?
»Ich kann sie doch tragen«, versuchte Sam ein weiteres Mal. »Und Cas nimmt Nick. Zusammen schaffen wir es hier weg.«
Dani schüttelte den Kopf. »Sie stirbt uns weg, bevor wir überhaupt irgendwo in Sicherheit sind. Und außerdem … Nirgendwo sonst wird sie besser ärztlich versorgt als bei der Sektion.«
Sprach sie von mir? Würde ich sterben?
»Will gehört zur Familie«, sagte sie, ihre Stimme summte mir in den Ohren.
Die Holzdielen knarrten. »Du wirst irgendeine Abmachung mit ihm treffen, nicht wahr?«, fragte Sam.
»Ich hab keine andere Wahl.«
Sam seufzte.
»Sie ist meine Schwester«, fügte Dani hinzu.
»Cas, ruf Will an«, sagte Sam.
»Mach ich.«
Sam hockte sich zu mir. Er streifte mir die Haare aus dem Gesicht und drehte dann mit sanften Fingern meinen Kopf so, dass ich ihn ansehen musste. »Sie hat unglaublich viel Blut verloren. Und sie ist schon ganz abwesend.«
»Ich weiß.«
»Kann sein, dass sie es nicht …«
»Sag’s nicht.« Dani drückte meine Hand. »Sag’s einfach nicht.«
Cas klappte das Handy zu, ließ es auf den Boden fallen und trat mit der Ferse darauf. »Das Arschloch ist unterwegs.«
»Ihr geht jetzt besser«, sagte Dani. Sam zögerte gerade lange genug, dass Dani ihn anschrie. »Los, Sam!«
»Melde dich, wenn du was Neues weißt.« Sam stand auf, kniete sich zu Nick, legte sich einen seiner Arme um die Schultern und hievte ihn hoch. Nick stöhnte.
»Passt auf euch auf«, sagte Sam.
Dani nickte, dann öffnete sich die Haustür und schloss sich kurz darauf wieder.
»Anna?«, flüsterte Dani. Sie wartete keine Antwort ab. »Hör zu, wenn Onkel Will ankommt, überlässt du mir das Reden, okay? Du sagst kein Wort, verstanden? Ich kümmere mich um alles, versprochen.«
Connor bewegte sich.
»Alles wird gut.« Dani lächelte und fuhr mir durchs Haar.
Der Schmerz ließ nach. Vielleicht war ja wirklich alles in Ordnung.
Connor setzte sich auf. »Was …«, krächzte er, bevor er sein Handy hervorzog. »Ich brauche Verstärkung. Port Cadia muss weiträumig abgesperrt und drei Jungs zur Fahndung ausgeschrieben werden …«
Dani legte mir eine Handfläche an die Wange, drehte mich so, dass ich sie anschauen musste. Ihre Augen waren blutunterlaufen und geschwollen und trotzdem erkannte ich meine Schwester. Da waren ganz viele Gefühle für sie. Vor allem Liebe und Bewunderung. Ich fühlte mich sicher in ihrer Nähe.
»Ich tue alles für dich, Spatz«, sagte sie. »Alles.«
30
Ich hatte meine Eltern erschossen.
Das war mein erster Gedanke nach dem Aufwachen.
Ihm folgte eine solche Trauer und Trostlosigkeit, dass ich fürchtete, sie wären nun schon Teil meiner DNS geworden und ich müsste sie nun für immer wie ein Schuldvirus in mir tragen.
Mein zweiter Gedanke erinnerte mich daran, dass ich vor fünf Jahren angeschossen worden war.
Ich setzte mich auf und schob mein Hemd hoch. Auf meinem Bauch waren keinerlei Spuren zu sehen. Keine Narben. Keine Verformung der Haut. Nichts.
Ich atmete auf und ließ mich zurücksinken. Vielleicht war es kein Flashback gewesen, sondern ein Albtraum.
Doch tief in mir drin wusste ich, dass das bloß Ausflüchte waren.
Ich hatte meine Eltern getötet.
Ich war angeschossen worden.
»Du warst drei Minuten lang klinisch tot.«
Beim Klang der Stimme fuhr ich viel zu schnell hoch und bereute es sofort. Es hämmerte nur so in meinem Kopf. Ich presste mir die Hände gegen die Schläfen und setzte mich so, dass ich die Füße auf den Boden stellen konnte.
»Hier bist du sicher«, sagte Will. »Entspann dich.«
Ich versuchte, ihn zu lokalisieren, und zwang mich zur Konzentration. Ich durfte ihn weder aus den Augen noch den Ohren verlieren.
»Wenn ich tot war«, sagte ich, »wie habt ihr mich dann zurückgeholt?«
Er kam um die Couch herum und setzte sich ans andere Ende, die Ellbogen auf den Knien, die Hände gefaltet. Sein Hemd war zerknittert, die Ärmel hochgerollt.
»Zu meinem Stab gehören die besten Mediziner des Landes«, sagte er, »und trotzdem … Als ich dich da auf dem OP -Tisch liegen sah, habe ich fast nicht
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