Hier kommt Hoeneß!
betreut, er war Mitbegründer des »Sommermärchens«, eines durch den Fußball ausgelösten, den Deutschen bisher größtenteils fremden Lebensgefühls. Dritter war die DFB-Elf bei der WM dank Moderator und Motivator Klinsmann geworden – ein Volk lag ihm zu Füßen. Im Anschluss an das Turnier hatte der gefeierte Held dann kurzerhand den Job gekündigt und war in die Staaten zurückgekehrt, zurück in die Abgeschiedenheit. Für eine Legendenbildung ist das ja immer hilfreich – aus dem Nichts kommen, etwas bewirken, schnell wieder verschwinden.
Bis zu jener aberwitzigen Idee. Diesmal war Bayern so frei. Der Mut wie die Verwunderung aller hätten nicht größer sein können: Klinsmann kehrte zurück zum FC Bayern. 1995 hatte er als Spieler den bestdotierten Vertrag unterschrieben, den in München zum damaligen Zeitpunkt je ein Spieler erhalten hatte. Nach nur zwei Jahren trennte man sich jedoch im Unfrieden. Elf Jahre später das Comeback, diesmal hatte er als Trainer den bestdotierten Vertrag unterschrieben, den in München zum damaligen Zeitpunkt je ein Trainer erhalten hatte.
Mit allem und jedem hatte man gerechnet, tagelang wurden in den Zeitungen und Magazinen, im Fernsehen wie im Internet sämtliche denkbaren und verfügbaren Kandidaten als Nachfolger von Hitzfeld ab Juli 2008 gehandelt: José Mourinho, Marco van Basten, Frank Rijkaard, Guus Hiddink, Marcello Lippi, Rafael Benitez bis hin zu Jürgen Klopp. Doch auf Klinsmann kam niemand. Die Idee war einfach zu absurd. Vergleiche sind schwer, aber die Schockwirkung war ähnlich groß, als hätte man bei der Suche nach einem Nachfolger für den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber plötzlich Oskar Lafontaine dazu bestimmt.
Es ist Freitag, der 11. Januar 2008. Der FC Bayern hat eine Woche zuvor die Vorbereitung auf die Rückrunde aufgenommen, am nächsten Tag steht die Abreise ins achttägige Trainingslager nach Marbella in Spanien an. Ab zehn Uhr ist eine Übungseinheit an der Säbener Straße angesetzt. Nichts ahnend machen sich die Reporter auf den Weg nach Harlaching. Dann drückt jemand um exakt 10.13 Uhr in den Redaktionsräumen der vereinseigenen Homepage fcb.de auf den Knopf. Go! Die Meldung ist raus: »Klinsmann kehrt zum FC Bayern zurück«. Eine Netzsensation. Ein Weltweit-Wunder.
»Minuten später brach bei uns alles zusammen«, erinnert sich Bayerns Pressechef Markus Hörwick, »solch einen Ansturm wie an diesem Tag hatte ich in meiner damals 25-jährigen Tätigkeit noch nicht erlebt. Es war unglaublich.« Und tatsächlich: Die meisten Anrufe, die meisten SMS dienten allein dem Zweck, beim Verein nachzufragen, ob es sich bei der Meldung auf der Homepage um einen Scherz oder eine Attacke von Computerhackern handelte. Selbst erfahrene Reporter, die den Verein seit Jahrzehnten begleitet hatten, reagierten unwirsch auf atemlose Anrufe aus den Redaktionen. Einer rief ruhig, aber gereizt ins Handy: »Wisst ihr was? Verarschen könnte ihr jemand anderen!« Der nächste Anruf sollte dann allerdings Aufklärung bringen: Es handelte sich wirklich nicht um einen Aprilscherz im Januar. Hörwick musste in der Folge immer wieder die gleichen Sätze in sein Handy sprechen: »Ja, es stimmt. Nein, es ist kein Witz.« In den Internetforen begannen heiße Diskussionen um die Tauglichkeit des zukünftigen Trainers. Zunächst aber fielen allüberall Sätze wie: »Das ist in etwa so, als hätte meine Frau mir heute Morgen gesagt: ›Schatz, ich übernehme ab Sommer den FC Bayern.‹« Ein anderer User schrieb: »Jetzt muss ich mir zum ersten Mal in meinem Leben am Vormittag ein Bier aufmachen – auch wenn ich im Büro bin, egal.«
Die Überraschung war gelungen. »Ich glaube, dass es in der heutigen Medienlandschaft mit dem Wahnsinn der unglaublich schnellen News-Verbreitung durch das Internet kaum mehr möglich ist, eine Information für sich zu behalten und damit an die Öffentlichkeit zu gehen, ohne dass jemand schneller ist«, meint Hörwick im Rückblick. »Wir haben das geschafft. Das war eine einmalige Sache.« Als sei allein die Tatsache, alle, wirklich alle – Spieler, Betreuer, Journalisten, Fans –, überrascht zu haben, schon der Coup schlechthin gewesen. Knapp zehn Monate nach Amtsantritt des Sensationskandidaten sollte sich allerdings zeigen, dass dies im Grunde der einzige Erfolg des Klinsmann-Engagements gewesen war. Doch zum damaligen Zeitpunkt schöpfte der FC Bayern Kraft aus der revolutionären Idee. Der komplette Vorstand
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